Was ist eigentlich Bestick?
Der Begriff „Bestick“ stammt aus dem oldenburgischen Deichrechtsgebiet. Er beinhaltet neben der Höhe und Stärke des Deiches auch die Breite und Höhe seiner Bermen (Absätze, die den Erddruck auf den Deichfuß mindern sollen) und die Tiefe und Weite des Rhynschlootes (= Deichgraben). Die Begrifflichkeit wurde ins Niedersächsische Deichgesetz übernommen. Die Festsetzung des Deichbesticks – also die Festsetzung der Abmessungen des Deiches - ist eine hoheitliche Aufgabe und wurde dem NLWKN als für den Küstenschutz zuständigen Landesbetrieb übertragen.
Mit kühlem Kopf für ruhige Nächte an der Elbe
Bestickfestsetzungen für die Deiche an der Tideelbe - ein gelungenes Beispiel für die geschäftsbereichsübergreifende Zusammenarbeit im NLWKN
Von Karsten Petersen, Uwe Strüfing, Heiko Warnecke und Andreas Wurpts
Ein Vorsorgemaß soll den Küstenschutz in Niedersachsen bereits heute für das nächste Jahrhundert fit machen. Was für die Inseln und die Küste gilt, ist auch für die Elbe von Bedeutung: Dort, wo die Wasserstände des Flusses von der Tide beeinflusst sind, war eine Neubemessung der Küstenschutzanlagen erforderlich. Im Ergebnis müssen rund zwei Drittel der Deiche am niedersächsischen Elbufer erhöht werden - im Mittel um knapp einen Meter.
Dabei handelt der Landesbetrieb nicht allein: Um eine einheitliche Deichsicherheit an den Landesgrenzen und gegenüberliegenden Ufern zu gewährleisten, haben sich die drei Bundesländer Schleswig-Holstein, die Freie und Hansestadt Hamburg sowie Niedersachsen auf gemeinsame Randbedingungen verständigt. Daraufhin wurde die Bundesanstalt für Wasserbau mit der Berechnung des sogenannten Bemessungswasserstandes - des höchsten zu erwartenden Sturmtidewasserstandes - beauftragt. Ihre Ergebnisse hat die Bundesanstalt im April 2018 vorgelegt .
Damit waren die Vorarbeiten zur Ermittlung der Deichhöhen nicht abgeschlossen: Neben dem Bemessungswasserstand müssen auch die Höhen des jeweiligen Wellenauflaufs bekannt sein. Die erforderlichen Berechnungen wurden nach einem einheitlichen Verfahren von den jeweiligen Bundesländern in eigener Regie durchgeführt. In Niedersachsen hat die Forschungsstelle Küste des NLWKN diese Aufgabe übernommen. Je nach signifikanter Wellenhöhe, Energieperiode, Lage zur Wellenrichtung und Neigung der Deichaußenböschung werden an der Elbe den Berechnungen der Experten zufolge Wellenauflaufhöhen von bis zu 2,5 Metern erreicht. Erst aus der Zusammenführung der jeweiligen Bemessungswasserstände und der zugehörigen Wellenauflaufhöhe ergeben sich die rechnerischen Deichhöhen.
Auf Basis dieser Vorarbeiten erfolgte die Festsetzung des sogenannten Besticks (vgl. Infokasten) für die knapp 122 Kilometer lange Deichstrecke zwischen Cuxhaven-Groden und dem Wehr Geesthacht. Sie soll gewährleisten, dass die Menschen im deichgeschützten Gebiet mit ihrem Hab und Gut bis ins 22. Jahrhundert hinein vor den Sturmfluten geschützt sind. Zuständig für die Bestickfestsetzung ist der Geschäftsbereich „Wasserwirtschaftliche Zulassungen“ des NLWKN. Um den Deich in der Praxis bauen zu können, wurden die rechnerischen Deichhöhen dabei auf volle Dezimeter aufgerundet und zu längeren Streckenabschnitten mit gleichen oder mit gleichmäßig zunehmenden oder abnehmenden Höhen zusammengefasst.
Enorme Herausforderungen für Verbände, Land und Bund
Das Ergebnis: Rund zwei Drittel der Deiche am niedersächsischen Elbufer müssen gemäß der im Auftrag der Deichverbände erstellten Rahmenentwürfe des NLWKN im Mittel um knapp einen Meter erhöht werden. Die künftigen Deichhöhen liegen dabei je nach Standort zwischen 7,7 und 9,7 Meter über Normal-Höhennull (NHN). Doch nicht nur Deiche müssen an der Elbe ausgebaut werden: In der Hauptdeichlinie befinden sich neun Sielbauwerke, fünf Deichscharte und vier Schöpfwerke, die ebenfalls angepasst werden müssen. Insgesamt ist mit Baukosten von rund 350 Millionen Euro zu rechnen. Dies stellt die Deichverbände an der Elbe in den nächsten drei Jahrzehnten vor große Herausforderungen, um die volle Schutzfunktion weiter zu gewährleisten.
Neben den Deichverbänden sind auch Bauwerke in Landes- und Bundesregie von den Anpassungen betroffen: In Summe müssen acht vom NLWKN betriebene Sperrwerke im Bereich der Elbe neu gebaut werden. Das gilt zusätzlich für das derzeit von der Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung (WSV) unterhaltene Ostesperrwerk. Insgesamt 200 Millionen Euro werden nach aktuellem Stand für den Neubau der Sperrwerke benötigt. Ausgenommen sind die beiden landeseigenen Sperrwerke in Cuxhaven: Sie wurden bereits vor einigen Jahren an das neue Bestick angepasst. Die ebenfalls vom NLWKN betriebene Hadelner Kanalschleuse wird derzeit erneuert. Die ersten Deichabschnitte werden bereits verstärkt oder planerisch vorbereitet.
Dabei bleiben neue Erkenntnisse aus Wissenschaft und Forschung zum Anstieg des Meeresspiegels stets im Blick der Küstenschützer: Sollte als Folge einer Beschleunigung des Meeresspiegelanstieges und klimatischer Veränderung der derzeitig angesetzte Wert von 50 Zentimetern nicht ausreichen, wird das Vorsorgemaß entsprechend angepasst. Die Ergebnisse können so bei den dann anstehenden Baumaßnahmen mit berücksichtigt werden.Interesse geweckt? Auf den nachfolgenden Seiten finden Sie weiterführende Hintergrundinformationen zum Thema.
- Gutachten „Modellierung von Sturmflutwasserständen in der Tideelbe“ der BAW, 2018
- Hintergrund: Wie funktioniert die Ermittlung der Bestickhöhe für Deiche und Sturmflutschutzanlagen?
- Aktuelle Informationen über den Baufortschritt an der Hadelner Kanalschleuse Otterndorf
- Hintergrundinformationen zu den Generalplänen für den Insel- und Küstenschutz
- Weiterführende Informationen zur Arbeit der Forschungsstelle Küste (FSK)