Der lange Weg zum Hochwasserschutz in Neustadt am Rübenberge
Komplexes Planfeststellungsverfahren findet nach mehr als zehn Jahren einen guten Abschluss
von Tobias Böttcher
Der NLWKN hat im Dezember 2021 den Plan für den Bau eines Hochwasserschutzdeiches in Neustadt am Rübenberge nahe Hannover durch Beschluss festgestellt. Ein Cyberangriff, Gesetzesänderungen, Natura 2000 und ein komplexer Flächenerwerb – ein Verfahren mit vielen Hürden ist damit zu einem positiven Ergebnis für alle Beteiligten gelangt.Grund für die geplanten Baumaßnahmen ist die Annahme, dass bei einem einhundertjährlichen Hochwasser der Leine – dem sogenannten HQ100-Fall – weite Teile des Wohngebietes „Silbernkamp“ mit Wassertiefen bis über einen Meter überflutet werden. Von den Überschwemmungen wären rund 250 Wohn- sowie 186 Nebengebäude betroffen. Die potenzielle Schadenssumme wurde mit mehreren Millionen Euro berechnet. Entsprechend groß ist der Wunsch nach einer möglichst zeitnahen Verwirklichung des Konzeptes – nicht zuletzt vor dem Hintergrund der in anderen Bundesländern in den vergangenen Jahren eingetretenen Hochwasserereignisse.
Die Planungen gehen zurück auf ein Gesamtkonzept zum Hochwasserschutz an der Unteren Leine aus dem Jahr 1992. Das Planungsgebiet liegt in der Region Hannover im Südosten der Stadt Neustadt am Rübenberge. Die 1.115 m lange Trasse des Hochwasserschutzdeiches erstreckt sich mit einer Höhe von bis zu 3,30 m über dem vorhandenen Gelände vom Klinikum der Region Hannover im Süden bis zu der historischen Festungsmauer des Schlosses Landestrost im Norden.
Die Komplexität des Verfahrens wird bereits anhand des Planungszeitraumes deutlich: Obwohl die Antragskonferenz schon im Jahr 2012 stattfand, konnte der finale Antrag erst 2019 gestellt werden. Die Ergebnisse des Scoping-Termins zum Untersuchungsrahmen und der Untersuchungsmethodik für die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) mussten im Jahr 2017 auf ihre Aktualität hin geprüft werden, da Bestandserhebungen nach Ablauf eines Zeitraums von fünf Jahren als Verfahrensgrundlage grundsätzlich nur bedingt geeignet sind. Schwierige Abstimmungsprozesse bei der landschaftspflegerischen Bestandsaufnahme, den Kompensationsmaßnahmen oder der Denkmalpflege in Bezug auf den Anschluss des Deiches an das Schloss Landestrost als Denkmal von landesweiter Bedeutung, führten insgesamt zu Verzögerungen und letztlich zu einer Vielzahl an betroffenen Belangen.
Auch Auswirkungen auf den Hochwasserschutz an anderen Stellen mussten berücksichtigt werden: Aufgrund der Errichtung des Deichkörpers wird der Retentionsraum des Leineuferbereichs verringert. Ein Ausgleich wird hierbei durch Vorlandabgrabungen erzielt. Problematisch erschien zunächst, dass die Fläche der Vorlandabgrabungen und andere von der Maßnahme betroffene Flurstücke nicht im Eigentum der Antragstellerin, der Stadt Neustadt am Rübenberge, standen. Nach intensiven Verhandlungen konnten mit den Beteiligten jedoch Einigungen erzielt und für alle Parteien vertretbare Lösungen gefunden werden. Eine ansonsten notwendige Enteignung der Flächeninhaber konnte somit erfolgreich abgewendet werden.
EMOTET und COVID-19 – unerwartete Hürden
Neben den verfahrensbedingten Komplikationen führte nach Antragstellung im Anschluss an das Beteiligungsverfahren ein Cyberangriff zu weiteren Verzögerungen im Verfahrensablauf. Die Schadsoftware EMOTET befiel die IT-Infrastruktur der Antragstellerin und vernichtete die gesamten Verfahrensunterlagen. Nach Wiederherstellung der IT-Sicherheit und öffentlicher Auslegung der Planunterlagen wurde aufgrund der besonderen Situation im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie und zum Schutz der Gesundheit aller Beteiligten der beabsichtigte Erörterungstermin abgesagt. Er wurde durch eine Online-Konsultation nach dem neu eingeführten Planungssicherstellungsgesetz ersetzt.
Das Verfahren ergab, dass zumutbare Alternativen im Sinne eines vergleichbar geeigneten Hochwasserschutzes mit geringeren Beeinträchtigungen nicht gegeben waren. Von herausragender Bedeutung für die Abwägung war die Lage des Planungsgebietes. Die Leineaue ist als FFH-Gebiet Teil des europäischen Netzes „Natura 2000“. Sobald innerhalb der Grenzen eines FFH-Gebietes vorhabenbedingt mit Beeinträchtigungen der Erhaltungsziele zu rechnen ist, können notwendige Maßnahmen nur aus zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses zugelassen werden. Da die Herstellung des Hochwasserschutzes dem Allgemeinwohl der Bevölkerung sowie der Wahrung öffentlicher und privater Güter von erheblicher Bedeutung dient, haben diese Ausnahmetatbestände eine maßgebliche Rolle bei der Beurteilung der Verträglichkeit des Vorhabens gespielt. Sie haben im Ergebnis dessen Zulässigkeit legitimiert.
Mit dem Planfeststellungsbeschluss hat der NLWKN nun abschließend eine verlässliche Rechtsgrundlage für das notwendige Hochwasserschutzprojekt geschaffen. Der Baubeginn soll noch im Jahr 2022 erfolgen.
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