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Auenstrukturplan für die Niedersächsische Elbe vor der Umsetzung

Auf der Suche nach Standorten für einen sinnvollen, effizienten und ökologisch vertretbaren Gehölzrückschnitt


Die Elbe bei Neu-Darchau. Mit Blick auf ihre Auen soll ein Strukturplan die Interessen von Hochwasser- und Naturschutz vereinbar machen (Bild: Falcon Crest Air/NLWKN).   Bildrechte: Falcon Crest Air/NLWKN
Die Elbe bei Neu-Darchau. Mit Blick auf ihre Auen soll ein Strukturplan die Interessen von Hochwasser- und Naturschutz vereinbar machen (Bild: Falcon Crest Air/NLWKN).

von Clemens Löbnitz

Hochwasserschutz und Naturschutz zusammenzubringen – das ist die große Herausforderung in der niedersächsischen Elbtalaue. Im Fokus steht dabei die Verbesserung des Hochwasserschutzes bei gleichzeitiger Bewahrung geschützter Landschaftsbestandteile sowie der Schutz von Biotopen und Arten. Der NLWKN hat hierzu einen Auenstrukturplan in Auftrag gegeben. Im Ergebnis konnten so 18 Standorte identifiziert werden, an denen Gehölzrückschnitte sinnvoll, effizient und aus ökologischer Sicht vertretbar sind. In der Summe kann durch Gehölzrückschnitt über alle Standorte hinweg eine Wasserspiegelabsenkung von bis zu 26 cm erreicht werden. Ende des Jahres geht der Auenstrukturplan in die Umsetzung.

Der Hintergrund: Im Einzugsgebiet der Elbe kam es Anfang der 2000er Jahre zu extremen Hochwasserereignissen. Das Wasser bedrohte Menschenleben, überflutete Straßen, zerstörte Häuser. Auch in Niedersachsen waren Feuerwehren, Bundeswehr und zahlreiche weitere Hilfsorganisationen sowie hunderte freiwillige Helfer unermüdlich im Einsatz. Aber auch Lebensräume für Tiere und Pflanzen wurden zerstört. Die Elbtalaue als bedeutende naturnahe Landschaft veränderte sich.

In der Folge wurden verschiedenste Maßnahmen des Hochwasserschutzes umgesetzt. So wurden beispielsweise Überschwemmungsgebiete ausgewiesen, Deiche erhöht, Aktionspläne erarbeitet, Hochwasserwarndienste und der Katastrophenschutz ertüchtigt. All diese Maßnahmen müssen im Einklang mit dem Naturschutz stehen: Es gilt, die Elbtalaue als Biosphärenreservat, als FFH-Gebiet und als EU-Vogelschutzgebiet besonders zu schützen. In diesem Spannungsfeld setzt der Auenstrukturplan für das Überschwemmungsgebiet der Elbe an.
Schematisch dargestellt: Die Bestandteile des Auenstrukturplans. Bildrechte: NLWKN
Schematisch dargestellt: Die Bestandteile des Auenstrukturplans.

Die Elbe - Lebensraum für Tier- und Pflanzenarten

Die Aue stellt neben ihrer Funktion als Überschwemmungsgebiet (ÜSG) einen bedeutenden Lebensraum für zahlreiche vom Wasser abhängige Tier- und Pflanzenarten dar. So bietet die Stromlandschaft mit ihrem uferbegleitenden Auwald beste Voraussetzungen für einen Biotopverbund. Auf eine Hochwasserlage können sich diese durch Naturschutzrecht geschützten Gehölze jedoch auch nachteilig auswirken: Es kann im Hochwasserfall zu einer aufstauende Wirkung kommen.

Der Auenstrukturplan für die Niedersächsische Elbtalaue stellt eine integrative wasserwirtschaftliche Fachplanung des Landes Niedersachsen dar. Auf Grundlage dieses Planes soll die Pflege und Entwicklung des Überschwemmungsgebietes (ÜSG) mit den geschützten Landschaftsbestandteilen, Biotopen und Arten sowie die Unterhaltung des erforderlichen Hochwasserabflusskorridors definiert und umgesetzt werden.

Grundlagen der hydraulischen Berechnungen

Zur Untersuchung der Wirkung von Gehölzentnahmen und der Integration von Kohärenzbereichen wurden im Rahmen des Auenstrukturplanes hydraulische Berechnungen durch das Forschungs- und Entwicklungszentrum für hydraulische Berechnungen des Instituts für Wasserwirtschaft und Umweltschutz der Hochschule Magdeburg durchgeführt. Diese erfolgten in Abstimmung mit der Bundesanstalt für Gewässerkunde (BfG). Die umfangreichen 2D-Berechnungen wurden mit Hilfe der Software „Hydro_AS-2D“ vorgenommen.

Hinsichtlich der Einflussgrößen des Bewuchses wurde beim Modellaufbau ein besonderes Augenmerk auf die Vegetationstypen und damit einhergehende Geländerauheiten gelegt. Im Rahmen von Geländebegehungen und -befahrungen sowie durch Inaugenscheinnahme von der Wasserseite aus konnten im Untersuchungsgebiet aus hydraulischer Sicht wiederkehrende charakteristische Vegetationstypen ermittelt werden. So ist über weite Fließstrecken ein uferbegleitender Gehölzsaum der Weichholzaue vorhanden, der im Wesentlichen aus Silberweiden, Korbweiden und Schwarzpappeln besteht (IWU 2020). Zur Konkretisierung wurden die von der Biosphärenreservatsverwaltung bereitgestellten Biotop- und Lebensraumtypenkartierungen herangezogen.

Auf dieser Grundlage wurde in einem ersten Schritt die hydraulische Wirkung von Gehölzentnahmen untersucht, um eine möglichst hohe Wasserspiegelabsenkung bei Extremhochwasser zu erzielen. Aus den simulierten Gehölzentnahmen konnte im Modell ein linearer Strömungskorridor abgeleitet werden, der künftig für einen ausreichenden Hochwasserabfluss dauerhaft freizuhalten ist. Das bedeutet, dass Gehölze innerhalb dieses Korridors in Zukunft nicht mehr aufwachsen sollen.

Da jedoch solche Eingriffe der Gehölzbeseitigung nach den Vorgaben des Naturschutzrechts (vgl. § 34 Abs. 3 BNatSchG) kompensiert werden müssen, wurden in das Modell ergänzend zu den Gehölzentnahmen auch klar abgegrenzte Kohärenzstandorte (vgl. rechts) mit charakteristischer Sukzessionsausprägung integriert und ebenfalls auf ihre hydraulische Wirkung hin untersucht. Die Festlegung der Gehölzentnahmestellen und der Kohärenzstandorte erfolgte zwischen der Wasserwirtschaft und der Biosphärenreservatsverwaltung, die hier die Funktion der unteren Naturschutzbehörde ausübt.


Von Schnackenburg bis Geesthacht wurden im Rahmen sehr umfangreicher hydraulischer 2D-Modellierungen Gehölzentnahmestellen und Kohärenzstandorte zunächst ausschließlich auf ihre hydraulische Wirkung einzeln und überlagernd untersucht. Die Ergebnisse der Einzelbetrachtung zeigten erhebliche Unterschiede. So variieren die Wasserspiegelabsenkungen bei den einzelnen Gehölzentnahmestandorten je nach Standort zwischen ein und zehn Zentimeter. Die effizientesten Maßnahmen mit dem größtmöglichen hydraulischen Effekt und dem geringsten naturschutzfachlichen Eingriff wurden in einem Abstimmungsprozess mit den zuständigen Akteuren herausgefiltert.

Auf diese Weise konnten im gesamten Maßnahmenbereich insgesamt 18 Standorte bestimmt werden, in denen Gehölzrückschnitte sinnvoll, effizient und aus ökologischer Sicht vertretbar sind. Die hydraulischen Berechnungen aller Gehölzentnahmestandorte zeigen, dass in der Summe eine Wasserspiegelabsenkung durch Gehölzmaßnahmen von maximal 26,2 cm erreicht werden kann.

Wasserspiegelabsenkung durch die Überlagerung von Gehölzrückschnitt und Kohärenzbereichen

Zur Findung von Kohärenzbereichen wurden im Vorfeld verschiedene Kriterien festgelegt, die der jeweilige Standort aus naturschutzfachlicher und wasserwirtschaftlicher Sicht erfüllen muss: So darf sich aus hydraulischer Sicht etwa keine Verschlechterung des Abflusses einstellen. Die in Frage kommenden Flächen dürfen keine anderen (vorhandenen) Lebensraumtypen aufweisen. Die Kohärenzstandorte müssen hinsichtlich der Parameter Höhenlage, durchschnittliche Wasserstände und Bodenstruktur zudem den qualitativen Anforderungen der Rückschnittbereiche entsprechen. Schlussendlich dürfen nur Standorte für Kohärenzbereiche ausgewählt werden, die sich im öffentlichen Eigentum befinden, damit auch ein realistischer Zugriff auf die Flächen gewährleistet ist. Dabei kommen hauptsächlich Flächen von Bund, Land, Landkreisen und Gemeinden in Frage.

Die Wasserspiegellagenberechnungen zeigen, dass die Maßnahmenkombinationen aus Gehölzrückschnitt und Kohärenzbereichen eine Wasserspiegellagenabsenkung bei HQ100 (vgl. rechts) von 25,5 cm bewirken können.

Ermittlung des Hochwasserkorridors

Ein Detailausschnitt aus den Fließgeschwindigkeitsberechnungen zeigt, dass die Vegetation und insbesondere das Gehölz die Strömungsverhältnisse stark beeinflussen. Die Fließgeschwindigkeiten werden dabei sowohl am Hauptstrom als auch auf dem Vorland durch die Gehölze abgebremst. Deutlich wird auch, dass es Bereiche gibt, die maßgeblich den Hochwasserabfluss beeinträchtigen können. Die größte Wirkung auf das Abflussverhalten bei Hochwasser hat der Elbe-Hauptstrom. Bereiche, die nur wenig zum Hochwasserabfluss beitragen, befinden sich im Strömungsschatten von Gehölzstrukturen, Deichen oder hinter Geländeerhebungen in großen Werderbereichen.


Die Hochwasserströmungsverhältnisse in einer schematischen Darstellung: blau der hochwasserabflussrelevante Korridor, orange der nicht für den Hochwasserschutz prioritäre Bereich (Grafik: IWU 2020).   Bildrechte: IWU
Die Hochwasserströmungsverhältnisse in einer schematischen Darstellung: blau der hochwasserabflussrelevante Korridor, orange der nicht für den Hochwasserschutz prioritäre Bereich (Grafik: IWU 2020).
Ausblick zur Umsetzung des Auenstrukturplans

Die Gehölzentnahme zur Verbesserung des Hochwasserabflusses an der unteren Mittelelbe stellt ein Eingriff in den prioritären Lebensraumtyp (LRT) 91E0* (Auenwälder mit Erle, Esche und Weide) dar. Damit ist per se eine sogenannte Erheblichkeit des Eingriffes gegeben und ein Verbotstatbestand ausgelöst. Als Alternative kämen u.a. die Anlage von Flutrinnen und Deichrückverlegungen in Frage. Diese Maßnahmen greifen allerdings nur mittel- bis langfristig, da aufwendige technische Planungen, Grunderwerb und Öffentlichkeitsbeteiligungen notwendig sind. Um die Hochwassersituation zeitnah zu mildern, können die Gehölze nur in den hydraulischen Engstellen entnommen werden. Damit ergibt sich ein erheblicher Eingriff in einen prioritären Lebensraumtyp, der eine FFH-rechtliche Abweichungsprüfung nach § 34 Abs. 3 BNatSchG erfordert. Vor diesem Hintergrund wurden im Rahmen des Auenstrukturplanes Kohärenzmaßnahmen erarbeitet, welche umgesetzt werden müssen. Insgesamt werden 21,4 Hektar des genannten Lebensraumtyps von der Gehölzentnahme betroffen sein.

Dauerhafte Gehölzfreiheit im hochwasserabflussrelevanten Korridor ist nur dann aufrechtzuerhalten, wenn der Zuwachs auf den Rückschnittflächen dauerhaft erfolgt und im Zyklus von fünf bis zehn Jahren über ein Monitoring nachgesteuert wird. Eine Überprüfung der Gehölzstrukturen soll durch Überschneidung des jeweils aktuellen Digitalen-Oberflächenmodells (DOM) mit den zum Zeitpunkt der Modellierung verwendeten Daten erfolgen.

Die konkrete zukünftige Organisationsform zur dauerhaften Gehölzfreiheit wird nun in einer Arbeitsgruppe beispielhaft unter Leitung des Niedersächsischen Ministeriums für Umwelt, Energie, Bauen und Klimaschutz bzw. des zuständigen Amts für Regionale Landesentwicklung unter Beteiligung der vor Ort tätigen Landesbehörden entwickelt werden. Ende des Jahres geht der Auenstrukturplan dann in die Umsetzung.

Kohärenzstandorte...

...sind Standorte, an denen Gehölze ohne menschlichen Eingriff aufwachsen dürfen.

Ein HQ100...

...bezeichnet einen Hochwasserabfluss, der im statistischen Mittel einmal in 100 Jahren er-reicht oder überschritten wird.

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