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Nuklearspezifische Gefahrenabwehr (NGA)
Begleitung eines polizeilichen Großeinsatzes - Die spannende Suche nach verschwundenem radioaktivem Material
Von Markus Knauer, Jan Schrader, Helge Behnsen, Kirsten Rupprecht
Kommt es zu Zwischenfällen mit radioaktiven Stoffen außerhalb ihres bestimmungsgemäßen Verbleibs, werden sie insbesondere gesetzeswidrig verwendet und könnten sich dadurch erhebliche Gefahren für die Bevölkerung oder einzelne Personen der Bevölkerung ergeben, kommt die „Nuklearspezifische Gefahrenabwehr“ (NGA) des NLWKN ins Spiel.Im September letzten Jahres bedrohte ein gekündigter Mitarbeiter einer Braunschweiger Firma, die mit radioaktiven Stoffen arbeitet, über soziale Medien den Geschäftsführer und verbreitete ein Video, in dem er mit einer Pistole in die Decke schoss. Daraufhin informierte der Geschäftsführer die Polizei. Noch in der Nacht wurde der Mitarbeiter in seiner Wohnung festgenommen. Am nächsten Tag meldete sich die Berufsfeuerwehr der Stadt Braunschweig beim NLWKN. Es wurde befürchtet, dass sich radioaktive Stoffe in der Wohnung des Täters befinden könnten. Die Kollegen der NGA rückten umgehend aus.
In Absprache mit dem Polizeipräsidium Braunschweig sollte der NLWKN als erstes die Wohnung auf radioaktive Stoffe untersuchen. In der Wohnung des Beschuldigten erlebten die Kollegen dann eine große Überraschung: Im Wohnzimmer fanden sie ein komplett eingerichtetes chemisches Labor vor. Im Lauf der Untersuchungen stellte die NGA radioaktiv kontaminierte Laborgegenstände fest und sicher. Nach eigener Aussage des Beschuldigten stellte dieser auch Sprengstoff her, der sich noch in der Wohnung befinden sollte.
Bei der Vernehmung des Beschuldigten durch die Polizei wurden weitere beunruhigende Informationen bekannt:
- Im Elternhaus des Beschuldigten in Wahrenholz sollte sich Plutonium befinden.
- In der Nähe des Elternhauses sollte auf einer Wiese Nickel-63 vergraben sein.
Da nun bekannt war, um welche Radionuklide es sich handelte, wurden der Polizeidirektion Braunschweig die besonderen Umstände erläutert:
- Plutonium ist ein Alphastrahler. Das bedeutet, dass die Strahlung zwar eine kurze Reichweite hat, bei Aufnahme in den Körper aber großen Schaden anrichten kann. Neben der Radioaktivität ist Plutonium auch ein sehr starkes Gift.
- Es war unbekannt, in welcher Form das Plutonium vorlag und ob die Gefahr einer sogenannten Inkorporation (Aufnahme in den Körper) bestand. Außerdem kann unter bestimmten Umständen bei Plutoniumquellen auch Neutronenstrahlung auftreten, was insbesondere für den Eigenschutz beachtet werden muss.
- Das Nickel-63 ist ein schwacher Betastrahler, das heißt diese Strahlung wird durch einfaches Glas oder andere Materialien abgeschirmt und ist dann nur schwer zu finden. Wenn dieser Strahler vergraben und somit abgeschirmt ist, kann er durch Strahlungsmessungen nicht gefunden werden.
- Daher muss der Beschuldigte anwesend sein, um die Stelle zu zeigen, an der das Nickel-63 vergraben wurde.
Nach eingehender Beratung und Planung wurde der polizeiliche Einsatz am nächsten Tag fortgeführt. Zunächst verschaffte sich die Polizei Zugang zu dem Gebäude in Wahrenholz, damit das Haus auf das Vorhandensein von Sprengstoff und Plutonium untersucht werden konnte.
Nachdem ein Spürhund der Polizei keinen Sprengstoff fand, waren Mitarbeiter des NLWKN die Ersten, die das Haus untersuchten: Nach rund zwei Stunden intensiver Suche fanden sie einen Behälter mit Plutonium. Es handelte sich glücklicherweise um eine umschlossene Quelle, so dass keine Kontaminationsgefahr bestand.
Anschließend wurde die Suche im Freien fortgesetzt. Noch am selben Tag zeigte der Beschuldigte die Stelle auf einer Wiese in Wahrenholz, an der das Nickel-63 vergraben sein sollte. Dort konnte es aber aufgrund der Wiesengröße (30.000 m²) nicht sofort gefunden werden.
Somit ging die Suche auch am darauf folgenden Tag weiter. Zunächst entfernte die Braunschweiger Polizei den halbhohen Bewuchs im Umkreis der gezeigten Stelle, dann konnte nach einigen Stunden der Suche mit Hilfe eines Metalldetektors der in etwa 80 Zentimeter Tiefe vergrabene Behälter mit dem Nickel-63 endlich gefunden und geborgen werden.
Alle bei dem Einsatz geborgenen radioaktiven Stoffe wurden zur weiteren Analyse in das Radionuklidlabor des NLWKN in Hildesheim gebracht.
Die auf der Wiese entdeckten Vials (Glasbehälter) in einer Bleiabschirmung enthielten eine Nickel-63 Lösung (ca. 30 ml) mit einer Aktivität von insgesamt 2,1 Tera Bequerell (TBq) – das sind 2,1 Billionen Zerfälle pro Sekunde.
Eine Aktivität in dieser Größenordnung könnte verheerende Auswirkungen auf den Menschen haben:
Bei Ingestion (orale Aufnahme) | Tödlich |
Bei Inhalation (Einatmen) | Tödlich |
Bei einer Explosion | durch große Verteilung nur geringe Bestrahlung in der Umwelt, jedoch Kontaminationsgefahr bei Kontakt |
Eintrag ins Abwasser | nur geringe Bestrahlung durch große Verdünnung |
Die Plutoniumquelle war unbeschädigt und dicht, somit bestand keine Kontaminationsgefahr.
Von dem unsachgemäßen Umgang mit radioaktiven Stoffen kann eine große Gefahr für Leib und Leben ausgehen. Hinzu kommt, dass der Mensch über keine Sinnenorgane verfügt, mit denen er Radioaktivität wahrnehmen könnte. Das Nickel-63 war schon 2006 von der Firma als Verlust angezeigt worden und bot das Potential, großen Schaden anzurichten. Aus diesen Gründen ist die staatliche Kontrolle des Umgangs mit radioaktiven Stoffen in Verbindung mit einer messtechnisch ausgerüsteten Einsatztruppe – der NGA – ein wichtiger Aspekt der öffentlichen Sicherheit.