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Üben für den Ernstfall
Die Bund-Niedersachsen Notfallschutzübung CORE-2021
Von Kirsten Rupprecht, Helge Behnsen und Hauke Brüggemeyer
Nach dem Reaktorunfall in Fukushima von 2011 wurde der radiologische Notfallschutz nach europäischen Vorgaben in Deutschland neu geordnet. Das Strahlenschutzgesetz von 2017 legt die Zuständigkeiten fest. Bei überregionalen Notfällen, wie zum Beispiel einem Unfall in einem Kernkraftwerk, ist das Radiologische Lagezentrum des Bundes für die Erstellung des Radiologischen Lagebildes zuständig. Das Radiologische Lagebild bildet die Basis aller Maßnahmen des Notfallschutzes und muss bundesweit einheitlich sein. Es wird in enger Abstimmung mit dem regionalen Lagezentrum des betreffenden Bundeslandes erstellt. Die CORE-Übungsserie besteht aus regelmäßigen Notfallschutzübungen des Bundes und einem Bundesland mit einer operationellen kerntechnischen Anlage. Die Zusammenarbeit mit dem Land Niedersachsen und insbesondere mit dem Radiologischen Lagezentrum (RLZ) beim NLWKN stand im Rahmen der CORE-2021 auf dem Prüfstand.Die CORE-2021 stellte gleich zwei große Herausforderungen an den NLWKN, einerseits die Bewältigung eines überregionalen, radiologischen Ereignisses in Niedersachsen und andererseits die Übungsdurchführung unter Corona-Bedingungen.
Das Übungsszenario wurde von einer Vorbereitungsgruppe erarbeitet, die sich aus Vertretern unterschiedlicher Bundes- und Länderbehörden zusammensetzte. Es wurde ein Drehbuch für einen schweren Unfall in einem fiktiven Kernkraftwerk am Standort Grohnde erstellt – ein überregionaler Notfall. Geplant wurden zwei separate Teilübungen mit einem zeitlichen Abstand: Übungstag 1 deckt den Zeitraum kurz vor und während einer Freisetzung von radioaktiven Stoffen ab, der Fokus liegt auf der Zusammenarbeit der Lagezentren beim Bund und dem NLWKN (Land). Das wichtigste Übungsziel ist die Erstellung von gemeinsamen Lagebildern. Übungstag 2 setzt als Messübung, bei der die Radioaktivität in der Umwelt bestimmt wird, das Szenario der ersten Teilübung fort. Besonders wichtig ist hierbei die Ausarbeitung einer abgestimmten Messstrategie zur Bestimmung der Strahlenbelastung zwischen den beteiligten Einheiten.
Der erste Übungstag – radiologische Prognosen
Für die Mitarbeiter des NLWKN und die dort anwesenden Beobachter begann die Übung um 6.50 Uhr mit einer Alarmierung auf Reaktorschnellabschaltung (RESA) über die Rufbereitschaft der Kernreaktor-Fernüberwachung (KFÜ). Die Nachfrage beim simulierten Kraftwerksbetreiber bestätigte die RESA. Als Grund wurde ein sogenanntes „Dampferzeuger-Heizrohrleck mit offenstehendem Frischdampf-Sicherheitsventil“ angegeben, ein sicherheitstechnisch sehr schwerwiegendes Ereignis. Zu diesem Zeitpunkt waren zwar noch keine Auswirkungen außerhalb der Anlage zu erwarten, doch die fiktive Lage spitzte sich im Verlauf der Übung immer weiter zu. Für die Mitarbeiter des NLWKN im RLZ bedeutete das, dass ständig Informationen entgegengenommen, in Lageberichte verarbeitet und weitergegeben werden mussten. Informationen zum Anlagenzustand und zu Freisetzungen wurden in Ausbreitungsrechnungen verarbeitet, automatische Messsysteme wurden in einen verkürzten Messmodus, den sogenannten „Intensivbetrieb“ gesetzt. Die Abstimmungen mit dem RLZ-Bund erfolgten in virtuellen Konferenzräumen oder bei Zeitdruck auch telefonisch. In anderen Video-Konferenz-Räumen wurde dem Krisenstab der niedersächsischen Landesregierung das Lagebild und daraus abzuleitende Maßnahmen erläutert. Beendet wurde dieser erste Übungsteil mit der beruhigenden Mitteilung, dass die technischen Probleme unter Kontrolle seien und keine weiteren Freisetzungen zu erwarten sind.
Der zweite Übungstag – Durchführung von Messungen
Dieser Übungsteil begann mit der Ausgangslage von Übungstag 1 – die technischen Probleme der Referenzanlage waren zwar unter Kontrolle, allerdings waren bis zu diesem Zeitpunkt bereits erhebliche radiologische Freisetzungen erfolgt. Somit mussten die Mitarbeiter des NLWKN zusammen mit dem Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) für ein großflächiges, potentiell kontaminiertes Gebiet eine Messstrategie erarbeiten. Anschließend wurden die NLWKN-eigenen Messdienste, unter Berücksichtigung der radiologischen Situation, zu den entsprechenden Messpunkten dirigiert. Dort wurden unter Einhaltung des Eigenschutzes Direktmessungen durchgeführt und Proben genommen, die anschließend sofort im mobilen Labor des NLWKN analysiert wurden. Mithilfe aktueller Messwerte, unter anderem auch von Messdiensten des BfS und der „kerntechnischer Hilfszug GmbH“, ein Messdienst, der von den Betreibern der kerntechnischen Anlagen unterhalten wird, wurde das radiologische Lagebild ständig konkretisiert. Dieser zweite Übungsteil endete erst am nächsten Tag, nachdem mit den Ergebnissen der Laboranalysen ein weiterer Lagebericht erstellt wurde.
Sind wir für den radiologischen Notfall gerüstet?
Die internen Abläufe innerhalb und zwischen den verschiedenen Einheiten des NLWKN liefen planmäßig, auch die personelle Besetzung entsprach den gestellten Anforderungen – obwohl einige Mitarbeiter in der Übungsleitung gebunden waren. Alle Informationskanäle wurden dauerhaft überwacht, die weiter zu gebenden Informationen wurden sehr schnell in die „elektronische Lagedarstellung für den Notfallschutz“ (ELAN) hochgeladen. Auch das Umweltministerium und die NLWKN-Hausspitze wurden ständig auf dem Laufenden gehalten. Die Übung wurde detailliert in Form eines Einsatztagebuchs dokumentiert.
Die Kommunikation und fachliche Abstimmung mit dem BfS bezüglich der Lagebilder und der Messstrategie war äußerst effektiv und lief ohne zeitliche Verzögerungen.
Die Darstellung der radiologischen Lage für den „interministeriellen Krisenstab“ der Landesregierung - bestehend aus Vertretern des Innen- und des Umweltministeriums – erfolgte Adressatengerecht.
Verbesserungspotential gibt es immer
Fazit: Um unter Zeitdruck und bei ungeübten Benutzern eindeutige Informationen bereitzustellen, sollten bei der vom Bund betriebenen Informationsplattform ELAN Vereinfachungen vorgenommen werden.
Des Weiteren stellte sich der Prozess der Erstellung eines Lagebilds teilweise als zu langwierig dar. Um in einem radiologischen Notfall schnell zuverlässige Informationen und Empfehlungen geben zu können, muss dieser Prozess unbedingt effizienter gestaltet werden. Bei fehlenden Informationen sollte zukünftig auf den HERCA-WENRA-Ansatz zurückgegriffen werden. Dieser sieht vor, die prioritären Maßnahmen in einem radiologischen Notfall bis zu einer bestimmten Entfernung generell vorzubereiten beziehungsweise vorzuplanen. Es geht bei diesem Ansatz im Wesentlichem darum, von einer kleinräumigen Maßnahmenempfehlung zu einer einheitlichen, großflächigen überzugehen.
Aber auch innerhalb des NLWKN gibt es noch Verbesserungspotential. So wird aktuell daran gearbeitet, die Erfüllung der Aufgaben auch bei einem Ausfall von technischen Systemen und Datenverbindungen sicher zu stellen. Außerdem soll die Aufteilung der einzelnen Mitarbeiter mit ihrer jeweiligen Aufgabenzuordnung in Zukunft noch effizienter gestaltet werden. Ein weiteres Problem ist die personelle Reserve bei einem längeren Ereignis. In einem solchen Fall müsste über mehrere Tage ein Schichtbetrieb gewährleistet werden - bei der aktuellen Personalsituation eine große Herausforderung.