Fließender Übergang: Der NLWKN treibt in Niedersachsen die Renaturierung von Gewässern voran
Natur und Hochwasserschutz profitieren auch 2024 wieder von zahlreichen umgesetzten Projekten
Von Silke Seemann, Kathrin Moggert, Torsten Knoblauch, Thomas Lamping, Josef Schwanken und Carsten Lippe
Verbaut, vertieft, begradigt: Lange wurden Fließgewässer in Deutschland durch menschliche Eingriffe stark verändert. Heute weiß man, dass Hochwasser-resiliente Flüsse und eine naturnahe, den Artenreichtum stärkende Fließgewässerentwicklung keine Gegensätze sein müssen. Der NLWKN hat 2024 an verschiedenen Gewässern in Niedersachsen erneut zahlreiche Projekte zur Fließgewässerentwicklung und Gewässerrenaturierung umgesetzt – so etwa an der Hase bei Herzlake, an der Schunter, der Rhume und der Großen Bremke im Harz. Damit leistet der Landesbetrieb auch einen Beitrag zur Umsetzung der Europäischen Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) in Niedersachsen.
Mit den umfangreichen Eingriffen, die bis zu einem Paradigmenwechsel in der Wasserwirtschaft gegen Ende des vergangenen Jahrhunderts an Fließgewässern vorgenommen wurden, verfolgten frühere Generationen vor allem zwei Ziele: Eine intensivere Nutzung von Flächen insbesondere durch die Verkürzung und Einengung des natürlicherweise oftmals stark mäandernden Gewässerverlaufs und eine vermeintliche Verbesserung des Hochwasserschutzes durch eine schadlose Abführung des Wassers. Doch die Auswirkungen der baulichen Maßnahmen waren noch tiefgreifender: Denn durch sie fließen viele Bäche und Flüsse heute schneller als natürlich, was die Erosion der Gewässersohle verstärkt. Problematisch ist auch, dass die vielfach stark ausgebauten Gewässer häufig keine geeigneten Uferzonen aufweisen, die als Laichzonen und Aufwuchshabitate dienen können. Verloren gingen vielerorts zudem die typischen Auenstrukturen an Flüssen, die als wertvoller Lebensraum dienen und im Hochwasserfall im Sinne von Retentionsflächen Wasser weitgehend schadlos aufnehmen können.
Auch eingebaute Querbauwerke, die das natürliche Geschiebe von Flüssen zurückhalten und etwa der Abflussregulierung dienen, haben negative Auswirkungen: Sie verhindern den dynamischen Wasserfluss und bilden oftmals unüberwindbare Hindernisse für viele aquatische Tierarten. Problematisch sind diese Bauwerke etwa für Fische, die in ihrem Lebenszyklus auf regelmäßige Wanderungen in den Gewässern angewiesen sind. Für manche Fischarten sind diese Wanderung zum Beispiel zwischen Laich- und Aufwuchshabitaten sogar überlebenswichtig. In Konsequenz dieser Eingriffe ist der Großteil der niedersächsischen Fließgewässer nach den Bewertungskriterien der Wasserrahmenrichtlinie heute in keinem guten ökologischen Zustand.
Breite Förderung & landeseigene Initiative
Um das zu ändern, fördert Niedersachsen seit einigen Jahrzehnten Vorhaben zur Entwicklung der Fließgewässer. Der NLWKN fungiert dabei oftmals als Geldgeber, Berater, Auftraggeber und Dienstleister für Renaturierungsprojekte. So wurden seit dem Jahr 2000 in Niedersachsen weit über 1.000 Vorhaben erfolgreich gefördert. Zugleich geht der Landesbetrieb bei der Renaturierung von stark veränderten Gewässern selbst voran und hat für entsprechende erfolgversprechende Maßnahmen an landeseigenen Gewässern eine breite Expertise entwickelt (vgl. auch eine 2024 vorgestellte Untersuchung hierzu). Vor allem sogenannte hydro-morphologische Maßnahmen (vgl. Band 2 & 10 der NLWKN-Schriftenreihe Wasserrahmenrichtlinie) – also Schritte zur Strukturverbesserung von Fließgewässern – sind dabei ein wichtiges Instrument, um die gewässerökologischen Ziele der Wasserrahmenrichtlinie zu erreichen und die Situation an den niedersächsischen Fließgewässern langfristig zu verbessern.
Auf dem Weg zu einer nachhaltigen Entwicklung der heimischen Bach- und Flusslandschaften bedienten sich die Gewässerschützerinnen und Gewässerschützer bei den im Jahr 2024 umgesetzten Projekten erneut aus einem breiten Spektrum von Ansätzen. Besonders im Fokus standen solche Maßnahmen, die der Herstellung einer naturnahen Gewässer- und Auenstruktur sowie der Wiederherstellung der ökologischen Durchgängigkeit dienen.
„Wiederholungstäter“ an der Schunter im Landkreis Helmstedt
An der Schunter, einem 58 Kilometer langen Zufluss der Oker, wurde 2024 östlich von Braunschweig ein weiterer strukturarmer Flussabschnitt auf einem zwei Kilometer langen Teilstück naturnah gestaltet. Nachdem an dem Fließgewässer in den letzten Jahrzehnten bereits eine Vielzahl von Maßnahmen durch den Unterhaltungsverband Schunter umgesetzt wurden, rollten im Herbst nahe Königslutter am Elm im Landkreis Helmstedt wieder die Bagger. Auf südlich angrenzenden Flächen erhielt die Schunter unter anderem zwei neue mäandrierende Läufe. Um eine aus den Laufverlängerungen resultierende negative Auswirkung auf die Gefällesituation auszugleichen, wurden beim oberwasserseitigen Raugerinne in Beienrode – also einem Gewässerabschnitt mit einer rauen Sohle aus Steinen – zudem die unteren fünf Riegel entfernt. Anschließend wurde die Sohlhöhe über die komplette Laufverlängerung abgebaut und somit eine natürliche Gefällesituation geschaffen.
Der Einbau von Strömungslenkern aus Totholz, Raubäumen und Kies gab dem Gewässer zudem vielfältige und aus Sicht des Naturschutzes wertvolle Ufer- und Sohlstrukturen zurück. Auf diese Weise wird die Vielfalt der in der Schunter vorkommenden Fließgeschwindigkeiten – Fachleute sprechen von Strömungsdiversität – erhöht. Auf den am neuen Gewässerverlauf liegenden Flächen erfolgte durch das Pflanzen von standorttypischen Gehölzen dabei auch die Einbeziehung der Aue in das Vorhaben.
Blickpunkt Harz: Synergien an der Großen Bremke
Die Revitalisierung der Großen Bremke ist eine Fließgewässerentwicklung im Süden Niedersachsens, die vom NLWKN gemeinsam mit der Stadt Osterode am Harz und dem Unterhaltungsverband Rhume umgesetzt wurde. Die Bauarbeiten umfassten den grundlegenden Umbau des kanalisierten Mittelgebirgsbachs auf einer Länge von rund 500 Metern. Sie konnten Ende 2024 abgeschossen werden.
Bei dem mit EU- Mitteln geförderten Projekt wurden neben dem Rückbau von senkrechten Uferwänden und Sohlbefestigungen auch sieben·Brücken komplett neu gebaut. Das Gewässer wurde mit naturnah gestalteten Böschungen und offenen Sohlstrukturen ausgestattet. Im Ergebnis steht ein naturnahes Gewässerprofil – und ein schöneres Ortsbild für Osterode. Durch den Einbau von Strukturelementen wie Steinen und Totholz konnte auch ein bedeutender gewässerökologischer Mehrgewinn erzielt werden.
Neben der Verbesserung der ökologischen Situation wurde durch den Umbau zudem der Hochwasserschutz verbessert. Die positiven Auswirkungen konnten bereits während des Winterhochwassers 2023/2024 beobachtet werden und haben der Maßnahme von Anwohnern, Bürgermeister und Feuerwehr ein großes Lob eingebracht.
Natur- und Hochwasserschutz zusammengedacht: Die Gewässerrenaturierung an der Hase bei Herzlake
Verwallungen und Begradigungen sollten entlang der Hase einst Flächen schützen und nutzbar machen. Durch den massiven menschlichen Eingriff gingen hier allerdings wichtige Retentionsflächen und Lebensräume verloren. Bei Herzlake hat der NLWKN als Flächeneigentümer 2024 im Rahmen eines Renaturierungsprojektes Ziele des Natur- und Hochwasserschutz zusammengedacht: Im Zuge der Arbeiten an der Mündung des Hahnenmoorkanals standen dabei die Verbesserung der Strukturvielfalt und das Schaffen von Aufwuchs- und Lebensraumhabitaten für Fische und andere gewässergebundene Lebewesen wie etwa Eisvögel und Uferschwalben im Fokus.
Hierzu entstanden auf einer knapp 4.500 Quadratmeter großen landeseigenen Fläche Tief- und Flachwasserzonen mit unterschiedlichen Böschungsneigungen. Auch Totholz wurde auf der neu gestalteten und an den Gewässerlauf der Hase angebundenen Fläche eingebaut. Die neu geschaffenen Rohbodenbereiche werden inzwischen wieder ihrer natürlichen Entwicklung überlassen und können auf diese Weise der Artenvielfalt dienen. Und auch der Hochwasserschutz profitiert: Denn Auen sorgen auch für einen natürlichen Wasserrückhalt, der zudem bei entsprechend hohen Wasserständen zur Grundwasseranreicherung und zur Milderung von Hochwasserextremen beiträgt.
Kammmolche profitieren an der Rhume
Der streng geschützte Kammmolch stand neben der Revitalisierung der Rhume 2024 im Zentrum eines Projekts im Süden Niedersachsens: An der im vorigen Jahrhundert durch menschliches Eingreifen stark begradigten und eingetieften Rhume wurde ein knapp 1.000 Meter langer Abschnitt im Landkreis Northeim wieder in einen naturnahen Zustand versetzt. Bisher gilt die Rhume hier im Sinne der Bewertung nach WRRL als erheblich verändertes Gewässer.
Das 2024 abgeschlossene Revitalisierungsprojekt leistet einen Beitrag, dies zu ändern. Ziel war es, nicht nur die Vorgaben der WRRL umzusetzen, sondern auch Synergien mit der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie zu ermöglichen, die der Erhaltung der biologischen Vielfalt insgesamt dient. Um der begradigten und strukturarmen Rhume wieder eine vielfältige und wertvolle Ufer- und Sohlstruktur zu verleihen, wurden konkret Totholz als Strömungslenker sowie Kiesrauschen in die Rhume eingebaut. Sie sollen unterschiedliche Strömungsgeschwindigkeiten erzeugen und Ruhezonen für Fische und Kleinlebewesen schaffen. Auch zwei Altarme der Rhume – Relikte ihres historischen, eigentlich in großen Bögen fließenden Gewässerverlaufs – wurden per Rückschlagklappen wieder an die Rhume angeschlossen. Bei Hochwasser wird das Wasser nun in die Altarme gedrückt, kann aber nicht wieder sofort abfließen. Dadurch wird die Wasserführung dieser Stillgewässer deutlich verbessert und eine ganzjährige Wasserhaltung ermöglicht.
Neben den umgesetzten Schritten im Bereich der Gewässersohle und Altarme bieten ab sofort zusätzlich zwei neu geschaffene Feuchtbiotope einen geeigneten Lebensraum für zahlreiche Wasservögel, Insekten und Amphibien – etwa dem seltenen und gefährdeten Kammmolch. Zur Verbesserung der Auenfunktion wurden auf den umliegenden landeseigenen Naturschutzflächen zudem Initialpflanzungen mit standorttypischen Gehölzen vorgenommen.
Artikel-Informationen
erstellt am:
10.04.2025
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