„Wer hier nicht mit den Gezeiten geht, geht mit der Zeit“
NLWKN-Betriebshofleiter Meik Julius im Interview über sein außergewöhnliches Leben auf Langeoog
Von Carsten Lippe
Wohnen am Wasser, das Rauschen des Meeres als ständiger Begleiter: Für hunderttausende Inselgäste jährlich klingt der Arbeitsalltag von Meik Julius wie ein Traum. Doch der Betriebshofleiter des NLWKN ist auch auf Langeoog, wenn im Winter meterhohe Wellen das kleine Eiland bedrohen. Mit viel Einsatz, Organisationstalent und handwerklichem Geschick schützen der 45-Jährige und seine Kollegen die ostfriesische Insel vor den Kräften des Meeres.
Herr Julius, machen Sie uns doch direkt zu Beginn mal ein bisschen neidisch: Wie sind Sie gestern in den Feierabend gestartet?
Vergleichsweise entspannt: Denn durch den Sturmflutwarndienst des NLWKN wussten wir, dass das Hochwasser in den nächsten Tagen nicht ungewöhnlich hoch oder niedrig auflaufen wird. Damit war klar, dass wir die für den Lahnungsbau benötigte Buschlieferung durch unseren Schiffsbetrieb wie geplant heute erhalten werden. Nach dem kurzen Gang nach Hause – das Büro liegt nur wenige Meter entfernt – habe ich meine Laufschuhe geschnürt und bin eine Runde über die Insel und den Strand lang gejoggt.
Ihr Büro, das ist der Betriebshof des NLWKN auf Langeoog – aber eigentlich auch die ganzen zwölf Kilometer, die die Insel lang ist…
Das ist richtig – als Betriebshofleiter bin ich natürlich auch für das Organisatorische und den Papierkram zuständig, der ja leider nicht weniger wird, aber ich klebe den Arbeitstag über so möglich nicht am Schreibtisch. Denn die Insel ist es, worum es bei unserer Arbeit geht. Wenn ich jeden Tag ausschließlich vom Büro aus arbeiten würde, wäre mein Arbeitsplatz irgendwann zwangsläufig wortwörtlich in Gefahr.
Das müssen Sie jetzt erklären.
Ganz einfach: Die Ostfriesischen Inseln sind der vielleicht dynamischste Naturraum in Deutschland. Sie bestehen vor allem aus Sand – auch unsere Schutzanlagen sind zu einem guten Teil Schutzdünen, also ebenfalls aus Sand geformt. Unter den Einwirkungen von Wind und Wellen verändern sie sich ständig und haben auch in der Geschichte ihr Aussehen über Jahrhunderte stets verändert. Das ist durch Studien der Forschungsstelle Küste gut belegt. Wir Küstenschützer versuchen nun in diesem dynamischen System einen gewissen Zustand möglichst festzuhalten, damit Menschen auf dieser Insel gut geschützt leben und natürlich auch Urlaub machen können – und auch dieser wertvolle Naturraum erhalten bleibt, der wiederum als vorgelagerter Wellenbrecher selbst das Festland schützt. Würden wir alle Aktivitäten des Küstenschutzes hier einfach einstellen, würde sich das Gesicht der Inseln auf kurz oder lang weiter verändern.
Sie sprechen von den „Küstenschützern“, einem Beruf, den man so allerdings nicht unbedingt im Ausbildungsverzeichnis findet. Wie sind Sie persönlich geworden, was Sie sind?
Im Küstenschutz sind grundsätzlich natürlich erstmal Menschen mit sehr verschiedenen Hintergründen engagiert: Da sind zum Beispiel die Ingenieurinnen und Ingenieure, die größere Vorhaben wie Strandaufspülungen oder Deichverstärkungen planen, aber auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verschiedener Fachrichtungen – und wir Praktiker. Wir sind dabei die einzigen, die ganzjährig auf der Insel präsent sind. Wir sind gewissermaßen Augen, Hände und Ohren des Küstenschutzes vor Ort. Der hierfür typische Ausbildungsweg ist dabei der des Wasserbauers – auch ich habe einmal so angefangen, das war 1997. Nach dem Facharbeiterbrief und meiner Zivildienstzeit wurde ich im Jahr 2000 unbefristet beim Land Niedersachsen angestellt. Ich komme eigentlich vom ostfriesischen Festland und wurde dann erstmal ein paar Jahre „nebenan“ auf Baltrum eingesetzt. 2006 kam ich auf eigenen Wunsch hier nach Langeoog, wurde Vorarbeiter und stellvertretender Betriebshofleiter. Zwischen Januar 2009 und Herbst 2010 habe ich schließlich den nächsten Schritt gewagt und eine Meisterausbildung in Dresden absolviert. Heute bin ich geprüfter Wasserbaumeister und seit Ende 2009 Leiter des NLWKN-Betriebshofs auf der Insel.
Auf Langeoog führen Sie achtköpfiges, rein männliches Team. Ist Ihr Beruf auch heute noch eine typische Männerdomäne?
Das kann man so nicht sagen. Es stimmt natürlich, dass es sich bei diesen oftmals sehr körperlichen Tätigkeiten lange um einen klassischen Männerberuf handelte. Das war auch noch zu Zeiten meiner Ausbildung überwiegend so. Heute gibt es aber sowohl am Festland als auch auf den anderen Inseln durchaus auch Kolleginnen. Die Leiterin unseres größten Betriebshofes auf dem Festland zum Beispiel ist eine sehr geschätzte Kollegin – und eine der ersten Wasserbaumeisterinnen hier im Nordwesten. Sie hat zuvor zehn Jahre hier auf Langeoog auf dem Betriebshof gearbeitet. Zugleich sind wir heute auch flexibler geworden, was den Weg in den Beruf angeht – da sind auch andere handwerkliche Ausrichtungen kein grundsätzliches Hindernis. Was allerdings jede und jeder mitbringen sollte, die oder der auf einer Insel im Küstenschutz tätig sein will, ist die Liebe zum Arbeiten in der Natur. Egal, ob es stürmt oder die Sonne scheint.
An einem sonnigen Sommertag klingt das vermutlich für viele verlockend. Sie allerdings bleiben auch auf Langeoog, wenn die Mehrheit der Urlaubsgäste zum Saisonende längst die Heimreise angetreten hat…
Richtig, für uns gibt es das ganze Jahr über etwas zu tun. Dabei gilt wie immer auf einer Insel: die Natur gibt die Richtung vor. Man könnte auch augenzwinkernd sagen: Wer hier nicht mit den Gezeiten geht, der geht mit der Zeit. Die Arbeiten unterscheiden sich dabei je nach Jahreszeit schon sehr. Im Frühjahr und Sommer sind es vor allem Kontrollen und Prüfungen an den Küstenschutzbauwerken oder Instandsetzungsarbeiten an den verschiedenen Anlagen, die uns beschäftigen – zum Beispiel an den sogenannten Lahnungen. Das sind die hier auf Langeoog vor allem im Süden der Insel gelegenen schachbrettartigen Uferschutzanlagen, die unter anderem dem Aufwachsen des Wattenmeeres und damit der Inselsicherung dienen. Diese Arbeiten bezeichne ich gerne als unsere Hausaufgaben – ob wir sie gut erledigt haben, sehen wir im Winter, wenn die Insel von der ein oder anderen Sturmflut auf die Probe gestellt wird. Im Herbst und im Winter stehen nicht zuletzt die Schutzdünen im Fokus: Durch das Pflanzen von Strandhafer, der mit seinen meterlangen, dichten Wurzeln ein natürlicher Helfer bei der Sicherung der sandigen Dünen ist und durch den Aufbau von Sandfangzäunen, die gezielt dem Anwachsen von Sandpolstern dienen, versuchen wir die natürlichen Prozesse auf der Insel zum Vorteil des Küstenschutzes zu beeinflussen.
Und wenn sich eine Sturmflut ankündigt…?
…dann sind wir die Kräfte vor Ort, die wichtige Vor- und Nacharbeiten durchführen. Dazu muss man wissen: Das Schutzsystem auf den Inseln besteht aus mehreren Elementen. Deiche auf der Festlandsseite, Schutzdünen, aber je nach Insel auch teils massive Schutzbauwerke wie Deckwerke sowie Durchlässe für die verschiedenen Verkehrszwecke. Im Gegensatz zum Festland, wo größtenteils Verbände für die Schutzanlagen wie Deiche zuständig sind, liegt der Betrieb und die Unterhaltung auf den Inseln mit wenigen Ausnahmen fast vollständig in der Hand des Landes – und damit in unserer. Diese Regelung wurde überall dort getroffen, wo der Küstenschutz besondere Herausforderungen birgt. Und dazu zählen natürlich auch die sehr exponiert liegenden Ostfriesischen Inseln.
Die hier vorhandenen Scharte, Siele und Durchlässe müssen bei vorhergesagten Sturmfluten vorsorglich verschlossen werden. Sogenannte Deichverteidigungspläne machen hierfür sehr genaue Vorgaben, was bei welchen erwarteten Wasserständen zu tun ist. Nach einem Sturmflutereignis ist es dann die wichtige Aufgabe der Betriebshöfe, möglichst schnell einen ersten Überblick über entstandene Abbrüche etwa an den Dünen und Sandkörpern zu ermöglichen. Je nach Ereignis und so es die Wetterlage zulässt bereits am nächsten oder übernächsten Tag. Und auch das schnelle Beseitigen der Hinterlassenschaften einer Sturmflut ist wichtig: Indem wir die oftmals in großen Mengen an den Deichen angeschwemmten Pflanzenreste abfahren – Fachleute sprechen von Teek – verhindern wir, dass die wichtige Grasnarbe der Deiche Schaden nimmt.
Bei nur 1.700 Insulanerinnen und Insulanern bildet das Winterhalbjahr sicher einen ziemlichen Kontrast zum Sommer, wenn wieder weit über 100.000 Tagesgäste und Urlauber die Insel bevölkern?
In der klassischen Urlaubszeit gibt es natürlich viele Veranstaltungen, da ist die ganze Insel gefühlt in Bewegung. Gleichzeitig dürfen wir dann auch sehr viele Gäste auf der Insel begrüßen, die verständlicherweise wenig bis keine Vorkenntnisse haben über die besonderen Umstände, die Gefahren zum Beispiel an Dünen-Abbruchkanten, aber auch, warum ein bestimmtes Verhalten problematisch ist für den Küstenschutz und das Wattenmeer. Das ist manchmal herausfordernd. Die tagtägliche Vermittlung von Wissen auch über den besonderen Naturraum, in dem wir hier leben dürfen, macht mir aber persönlich in der Regel viel Freude.
Der Winter auf Langeoog ist dann gar nicht so einsam, wie man sich das vielleicht vorstellt, weil auch viele Gäste gerade diese etwas ruhigere Zeit auf der Insel inzwischen sehr zu schätzen wissen. Außerdem gibt es hier gerade im Winterhalbjahr dann auch besonders spektakuläre Licht- und Wettersituationen zu erleben. Es ist ein bisschen ein gespaltenes Verhältnis: Meine Frau, meine Töchter und ich sind ganz froh, dass es auf Langeoog keine Stadt oder dergleichen gibt, die Insel aber aufgrund der guten Erreichbarkeit eben doch fast das ganze Jahr über von Gästen aufgesucht wird.
Zum Glück ist der nächste Sommer ja immer nicht weit und das Inselwetter oftmals besser als auf dem Festland. Den Strand vor der Haustür, Salz auf den Lippen, Möwen und Wellengang im Ohr: Sie und ihre Kollegen müssten sich doch vor Bewerbungen eigentlich kaum retten können?
Das könnte man beim Blick aus dem Fenster tatsächlich meinen, dem ist aber leider nicht so. Im Gegenteil: Es werden immer wieder händeringend Kolleginnen und Kollegen mit handwerklichem Geschick für die wichtigen Tätigkeiten auf den Inseln gesucht. Denn bei aller Anziehungskraft dieses Urlaubsparadieses, der großen Bedeutung unserer Aufgaben und den vielen schönen Seiten des Lebens auf einer Insel gilt es natürlich auch ein paar Herausforderungen zu bewältigen: Die Trennung von Beruf und Privatem zum Beispiel. Das funktioniert auf einer so kleinen Insel natürlich nur bedingt, weil man durch den Beruf, der für die Leute ja auch noch wortwörtlich überlebenswichtig ist, hier sehr bekannt ist.
Inkognito ist man also eher selten…
Richtig. Die größte Herausforderung sind aber sicherlich die Lebenshaltungskosten auf einer Insel. Die Fährkosten, die höheren Preise für Lebensmittel, die Parkplatzgebühren am Festland, vor allem aber bezahlbarer Wohnraum. Als Betriebshofleiter habe ich sogenannte Residenzpflicht auf der Insel und der NLWKN stellt mir im Gegenzug eine Dienstwohnung zu vergleichsweise günstigen Konditionen zur Verfügung. Trotz aller Herausforderungen: Einen schöneren Ort zum Arbeiten gibt es für mich nicht!
Artikel-Informationen
erstellt am:
09.04.2025
zuletzt aktualisiert am:
10.04.2025
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