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Artenschutzrechtliche Prüfung der Schädigungs- und Störungsverbote des § 44 BNatSchG

Schädigungs- und Störungsverbote des § 44 Abs. 1 BNatSchG
§ 44 Abs. 1 BNatSchG verbietet es,
1. wild lebenden Tieren der besonders geschützten Arten nachzustellen, sie zu fangen, zu verletzen oder zu töten oder ihre Entwicklungsformen aus der Natur zu entnehmen, zu beschädigen oder zu zerstören,
2. wild lebende Tiere der streng geschützten Arten und der europäischen Vogelarten während der Fortpflanzungs-, Aufzucht-, Mauser-, Überwinterungs- und Wanderzeiten erheblich zu stören; eine erhebliche Störung liegt vor, wenn sich durch die Störung der Erhaltungszustand der lokalen Population einer Art verschlechtert,
3. Fortpflanzungs- oder Ruhestätten der wildlebenden Tiere der besonders geschützten Arten aus der Natur zu entnehmen, zu beschädigen oder zu zerstören,
4. wildlebende Pflanzen der besonders geschützten Arten oder ihre Entwicklungsformen aus der Natur zu entnehmen, sie oder ihre Standorte zu beschädigen oder zu zerstören.

Verboten sind nicht nur mutwillig, ohne vernünftigen Grund, absichtlich, vorsätzlich oder fahrlässig begangene Schädigungen und Störungen, sondern auch solche, die als Folgen einer Handlung vorhergesehen werden konnten, also wissentlich in Kauf genommen werden. Die Verbote gelten nicht auf Schutzgebiete beschränkt, sondern wo immer besonders oder streng geschützte Arten vorkommen.

Wen schützen die Verbote?
Die Verbote des § 44 Abs. 1 BNatSchG gelten nur dem Schutz der besonders und streng geschützten Arten. Das sind etwa 2.585, d. h. nur 3,4 Prozent der rund 76.000 in Deutschland lebenden Arten. – Welche Arten besonders oder streng geschützt sind, ergibt sich aus § 7 Abs. 2 Nr. 13 und 14 BNatSchG:

Besonders geschützt sind
- Arten der Anhänge A und B der EG-Verordnung 338/97,
- Arten des Anhanges IV der FFH-Richtlinie,
- Arten nach Art. 1 der EU-Vogelschutzrichtlinie,
- Arten, die in einer Rechtsverordnung nach § 54 Abs. 1 BNatSchG aufgeführt sind.

Streng geschützt ist eine Teilmenge dieser besonders geschützten Arten, und zwar
- Arten des Anhanges A der EG-Verordnung 338/97,
- Arten des Anhanges IV der FFH-Richtlinie,
- Arten, die in einer Rechtsverordnung nach § 54 Abs. 2 BNatSchG aufgeführt sind.

Nicht alle diese Arten sind auch im Sinne der Roten Listen gefährdete Arten (z. B. sind alle europäischen Vogelarten besonders geschützt). Umgekehrt zählen nicht alle Rote Liste Arten, sondern nur eine Minderzahl dieser Arten zu den besonders geschützten Arten.

Dies rührt daher, dass das besondere Artenschutzrecht ursprünglich Arten vor zielgerichteter Verfolgung, Aneignung und Vermarktung schützen wollte und nicht auch – wie es das Gemeinschaftsrecht verlangt ­ – Arten vor Schädigungen und Störungen zu schützen, die gewissermaßen als Kollateralschaden mit Bau- oder Abbauvorhaben oder auch der land- und forstwirtschaftlichen Bodennutzung verbunden sein können.

Das 2010 in Kraft getretene Bundesnaturschutzgesetz hat auf dieses Manko reagiert. Es ermächtigt in § 54 Abs. 1 und 2 BNatSchG das Bundesumweltministerium, durch Rechtsverordnung
- gefährdete Arten unter besonderen Schutz zu stellen, sofern Deutschland für sie im hohen Maße verantwortlich ist,
- vom Aussterben bedrohte Arten oder gefährdete Arten, für die Deutschland im besonders hohen Maße verantwortlich ist, unter strengen Schutz zu stellen.

Es liegt nun am Bundesumweltministerium und wegen des Zustimmungsvorbehaltes auch am Bundesrat, inwieweit sich die artenschutzrechtlichen Verbote auch auf solche Arten erstrecken.

Verzeichnis der in Niedersachsen vorkommenden besonders und streng geschützte Arten
In Niedersachsen gibt es 1.689 besonders oder streng geschützte Arten aus 19 Artengruppen. Dies sind weniger als 5 % der hier heimischen Arten. Die Fachbehörde für Naturschutz hat ein Verzeichnis dieser Arten erstellt. Es soll zum Schutz dieser Arten beitragen und die Entscheidung erleichtern, welche Arten im Einzelfall zu erfassen und in eine entsprechende artenschutzrechtliche Prüfung einzubeziehen sind. Es wendet sich daher an alle Personen und Stellen, die für die Erhaltung dieser Arten in Niedersachsen Verantwortung tragen und die bei ihren Tätigkeiten, Plänen oder Vorhaben die Schädigungs- und Störungsverbote des § 44 Abs. 1 BNatSchG, z. T. mit unterschiedlicher Reichweite, beachten oder vorausschauend berücksichtigen müssen.

Über ein bloßes Artenverzeichnis hinaus enthält es Angaben zum rechtlichen Schutz, zum Gefährdungsgrad nach den Roten Listen, zu den für die Arten relevanten Habitatkomplexen sowie Informationen zum Bestand und zur Verbreitung aller aufgelisteten Arten. Daher ist das Werk auch für viele faunistisch und floristisch Interessierte von Bedeutung, da hiermit für viele Arten erstmals Angaben zu deren Vorkommen und Verbreitung in Niedersachsen vorgelegt werden. Eine wesentliche Grundlage für diese Angaben waren die Daten der Arten-Erfassungsprogramme des NLWKN.

Das Verzeichnis ist in zwei Teilen im Informationsdienst Naturschutz Niedersachsen erschienen:
Heft 3/2008: Teil A Wirbeltiere, Pflanzen und Pilze
Heft 4/2008: Teil B Wirbellose Tiere.

Die jeweils aktuellen Verzeichnisse finden Sie hier.

Legalausnahmen und weitere Ausnahmen
Es liegt auf der Hand, dass viele Tätigkeiten einzelne der Schädigungsverbote des § 44 Abs. 1 BNatSchG durchaus berühren oder verletzen können. Der Gesetzgeber hat darin offenkundig ein Problem gesehen und deshalb die Zugriffsverbote in § 44 Abs. 4 BNatSchG für die land-, forst- und fischereiwirtschaftliche Bodennutzung und in § 44 Abs. 5 BNatSchG für Eingriffe in Natur und Landschaft und Vorhaben im bauplanungsrechtlichen Innenbereich eingeschränkt.

Die Schädigungs- und Störungsverbote sind dort beschränkt auf den Schutz
- der europäischen Vogelarten,
- der Arten des Anhanges IV der FFH-Richtlinie,
- der in einer Rechtsverordnung nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG aufgeführten Arten

und zusätzlich eingeschränkt:
- Beschränkungen der land-, forst- und fischereiwirtschaftlichen Bodennutzung (1) sind nur zulässig, wenn sich der Erhaltungszustand der lokalen Population infolge der Bewirtschaftung verschlechtert und Maßnahmen des Gebietsschutzes, Artenschutzprogramme, vertragliche Vereinbarungen und Aufklärung nicht greifen. Erst dann darf die Naturschutzbehörde Bewirtschaftungsvorgaben anordnen.
- Im Fall von nach § 15 BNatSchG zulässigen Eingriffen und Vorhaben im bauplanungsrechtlichen Innenbereich liegt ein Verstoß gegen § 44 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG nicht vor, wenn die ökologische Funktion der betroffenen Fortpflanzungs- oder Ruhestätte der Arten im räumlichen Zusammenhang weiterhin erfüllt wird. Soweit erforderlich können auch vorgezogene Ausgleichsmaßnahmen festgesetzt werden, die diese Funktion sicherstellen. Wird die ökologische Funktion auch weiterhin erfüllt, sind auch die für die Durchführung des Eingriffs unvermeidbaren Beeinträchtigungen vom Verbot des § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG ausgenommen.

Die nach Landesrecht zuständigen Behörden können nach § 45 Abs. 7 BNatSchG von den Verboten des § 44 BNatSchG im Einzelfall weitere Ausnahmen zulassen
- zur Abwendung erheblicher land-, forst-, fischerei-, wasser- oder sonstiger erheblicher wirtschaftlicher Schäden,
- zum Schutz der heimischen Tier- und Pflanzenwelt,
- für Zwecke der Forschung, Lehre, Bildung oder Wiederansiedlung oder diesen Zwecken dienende Maßnahmen der Aufzucht oder künstlichen Vermehrung,
- im Interesse der Gesundheit des Menschen, der öffentlichen Sicherheit, einschließlich der Landesverteidigung und des Schutzes der Zivilbevölkerung oder der maßgeblichen günstigen Auswirkungen auf die Umwelt oder
- aus anderen zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses einschließlich solcher sozialer oder wirtschaftlicher Art.

Eine Ausnahme darf nur zugelassen werden, wenn zumutbare Alternativen nicht gegeben sind und sich der Erhaltungszustand der Population einer Art nicht verschlechtert, soweit nicht Artikel 16 Abs. 1 der FFH-Richtlinie weitergehende Anforderungen enthält. Artikel 16 Abs. 3 der FFH-Richtlinie und Artikel 9 Abs. 2 der EU-Vogelschutzrichtlinie sind zu beachten. Die Landesregierungen können solche Ausnahmen auch allgemein durch Rechtsverordnung zulassen.

Artikel 16 Abs. 1 der FFH-Richtlinie bindet die Zulässigkeit u. a. an zwingende Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses einschließlich solcher sozialer oder wirtschaftlicher Art. Artikel 16 Abs. 3 der FFH-Richtlinie gestattet die Ausnahme nur, wenn die Population der betroffenen Art trotz der Ausnahme in einem günstigen Erhaltungszustand bleibt. Artikel 9 Abs. 2 der EG-Vogelschutzrichtlinie verlangt, dass bestimmte Angaben zu den abweichenden Bestimmungen getroffen werden.

Die Vorschrift des § 45 Abs. 7 BNatSchG gilt in den Fällen verbotswidriger Schädigungen und Störungen allen besonders und streng geschützter Arten, also nicht nur europäischer Vogelarten und Arten des Anhanges IV der FFH-Richtlinie.

Von den Verboten des § 44 BNatSchG kann auf Antrag Befreiung nach § 67 BNatSchG gewährt werden, wenn die Durchführung der Vorschrift im Einzelfall zu einer unzumutbaren Belastung führen würde. Die Befreiung kann mit Nebenbestimmungen versehen werden.

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(1) Mit der Einschränkung: soweit sie den in § 5 Abs. 2 bis 4 BNatSchG genannten Anforderungen sowie den sich aus § 17 Abs. 2 des Bundes-Bodenschutzgesetzes und dem Recht der Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft ergebenden Anforderungen an die gute fachliche Praxis entspricht.

Artikel-Informationen

Ansprechpartner/in:
Wilhelm Breuer

Nds. Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz
Betriebsstelle Hannover-Hildesheim
Göttinger Chaussee 76 A
D-30453 Hannover
Tel: +49 (0)511 / 3034-3022
Fax: +49 (0)511 / 3034-3507

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