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"Wir haben nicht mehr viel"

"Wir haben nicht mehr viel" Masterplan Ems und der Vogelschutz - Die Experten Heinrich Pegel und Karl-Heinz Augustin im Interview


Heinrich Pegel (links) und Karl-Heinz Augustin machen sich für Wiesenvögel stark.   Bildrechte: Thorsten Kuchta
Heinrich Pegel (links) und Karl-Heinz Augustin machen sich seit Jahrzehnten für Wiesenvögel stark.

200 Hektar Flächen für Wiesenvögel: So steht es im Masterplan Ems. Bis 2050 sollen die hergestellt werden. Bislang sind es 89 Hektar – die größten Flächen befinden sich beim Großen Meer im Landkreis Aurich und in den Leher Wiesen im Landkreis Emsland. Wir sprechen heute mit Heinrich Pegel von der Naturschutzstation Ems des NLWKN und Karl-Heinz Augustin vom NABU, die so einiges über die Vögel und die Flächen zu erzählen haben.

Herr Augustin, Herr Pegel, bevor wir zu den einzelnen Flächen kommen: Um welche Vögel geht es eigentlich – und warum brauchen die eigene Flächen?

Heinrich Pegel: Es geht um Watvögel, die auf dem Boden brüten, auf feuchten Wiesen und Weiden, wie es sie bei uns lange Zeit fast überall gab. Das tun beispielsweise Brachvogel, Uferschnepfe, Bekassine und Rotschenkel – aber auch Singvögel wie Wiesenpieper, Braunkehlchen und Feldlerche. Für ihre Gelege und Küken brauchen sie bewirtschaftetes Grünland, also weite offene Flächen.

Und warum muss es bewirtschaftet werden?

Heinrich Pegel: Weil auf den Flächen sonst schnell langes Gras wachsen würde, und nach einiger Zeit Büsche aufkommen. Das ist zwar auch schön, aber nichts für die Wiesenvögel.

Karl-Heinz Augustin: Und die Flächen müssen feucht sein, also zu bestimmten Zeiten vernässt. Die Vögel brauchen das. Bei Uferschnepfe und Brachvogel beispielsweise kann man es schon am langen Schnabel erkennen: Mit dem suchen und finden sie im Boden ihre Nahrung, Würmer und Insekten. Damit das klappt, muss der Boden feucht und weich ein. Boden in den Niederungen verhärtet schnell, wenn er trocken wird. Übrigens: Diese Vögel haben tatsächlich Sensoren an den Schnäbeln, mit denen sie die Nahrungstiere in der Erde ausfindig machen können. Wenn es dann noch Blänken gibt, also kleine, flache Wasserflächen, wo die Vögel im Schlamm stochern können, dann fühlen sie sich besonders wohl.

Niedersachsen, so heißt es, hat für die Wiesenvögel eine besondere Verantwortung. Warum?

Heinrich Pegel: Ursprünglich hatte Niedersachsen einen großen Anteil an Lebensräumen für diese Tiere. Moorige, sumpfige Flächen, feuchte und nasse Wiesen. Deswegen gibt und gab es hier deutlich mehr dieser Vögel als in anderen Bundesländern. Leider gehen die Bestände seit langer Zeit stark zurück, auch heute noch.

Woran liegt das?

Heinrich Pegel: Ihre Lebensräume sind mehr und mehr verschwunden. In den vergangenen Jahrzehnten wurden immer mehr Moore trockengelegt, die Entwässerung feuchter und nasser Wiesen und Weiden wurde intensiviert und Grünland in Acker umgebrochen. Und bestehende Lebensräume haben an Qualität verloren, weil die moderne Landwirtschaft mit intensiver Düngung , frühen Mahdterminen sich nicht mit dem Lebenszyklus der Wiesenvögel verträgt, weil die dann noch brüten oder als Küken im Gelände unterwegs sind. Die Bestände gehen nach wie vor zurück – und wir müssen handeln.

Karl-Heinz Augustin: Das nördliche Emsland und das südliche Ostfriesland scheint mir dafür ein hervorragendes Gebiet zu sein. Wir haben etwa die Esterweger Dose mit 5000 Hektar, rundherum viele Feuchtwiesen und kleinere Moore mit zusammen 3000 Hektar, dann viele Gebiete an der Ems, Deichvorländer bis zur Leda – riesige Gebiete. Die Verantwortung für die Vögel müssen wir auf lokaler Ebene mit Leben erfüllen, um die Bestände zu erhalten. Außerhalb der Schutzgebiete passiert da so gut wie nichts mehr. Die meisten Wiesenbrüter sind so gefährdet, dass sie auf den roten Listen in den höchsten Kategorien zu finden sind. In der höchsten dieser Kategorien, die Rote Liste eins, sind Brachvogel, Uferschnepfe, Braunkehlchen, Wachtelkönig. Auch frühere Allerweltsvögel wie der Wiesenpieper drohen zu verschwinden. Wir haben nicht mehr viel.

Wir hören viel vom Verlust der Artenvielfalt. Die scheint bei den Wiesenvögeln tatsächlich in vollem Gange zu sein ….

Karl-Heinz Augustin: Völlig richtig. Wenn jemand von Rettung der Artenvielfalt erzählt, kann man ihm nur sagen: Fang an Junge – und zwar bei den Wiesenvögeln.

Kommen wir zu den konkreten Masterplan-Wiesenvogelflächen. In Bedekaspel am Großen Meer wimmelt es zurzeit (Mai 2023) im aufgestauten Flachwasserbereich nur so vor Leben. Und das sind nicht nur Wiesenbrüter, auch Enten, Gänse, Löffler. Herr Pegel, geht Ihnen als Vogelschützer da das Herz auf oder sagen Sie nüchtern: Schön so, aber ich will da nur Wiesenbrüter? Wie eng wird da Zweck und Erfolg einer solchen Maßnahme definiert?

Heinrich Pegel: Mir geht natürlich das Herz auf, wenn so viele Arten davon profitieren, was wir da machen. Es geht aber nicht ohne Management. Der Wasserstand muss geregelt werden, um die speziellen Bedürfnisse von Arten zielgerichtet zu bedienen. Der Kiebitz etwa freut sich zur Zeit der Revierbildung an freien, flachen Wasserzonen. Wenn aber die Küken geschlüpft sind, bringt ihm das freie Wasser gar nichts, weil die Küken nicht schwimmen. Er braucht dann trockengefallene, schlammige Bereiche, wo der Nachwuchs herumlaufen und leckere Insektenlarven finden kann. Der Löffler und viele seltene Entenarten, alles Gastvögel in Bdedekaspel, würden es lieben, wenn die Wasserfläche bleibt. Ich muss mich also entscheiden: Um welche Arten geht es? Dann entscheide ich mich für die Wiesenbrüter und nicht für die anderen. Auch wenn, um im Bild zu bleiben, das Herz manchmal blutet.

Gibt es für das Management auch andere Aspekte?

Heinrich Pegel: Wie vorhin gesagt: Die Fläche muss bewirtschaftet werden. Ich muss also so agieren, dass Landwirte das Interesse an der Fläche behalten. Ist sie zu lange zu nass und es wachsen Pflanzen wie Binsen und Rasenschmiele, also Arten, die das Vieh nicht gerne frisst – dann hat der Bauer natürlich keine Lust mehr. Wer soll das Gras dann fressen? Man kennt viele solcher Flächen, die verbinsen oder brachfallen. Das dient dem Vogelschutz auch nicht. Also muss ich auch mal Kompromisse machen.

Karl-Heinz Augustin: Ich bin in den Leher Wiesen seit 25 Jahren mit diesem Management vertraut. Wir haben fünf Landwirte, die die Flächen pflegen. Rund um den 15. Juni können sie zum ersten Mal mähen, wir sind da flexibel. Wo nichts mehr brütet oder Küken geführt werden, können sie auch mal früher loselegen. Auf anderen Flächen dann eben nicht. Das Ergebnis lässt sich sehen: Wir haben stabile Bestände an Brachvögeln. Sechs Paare brüten regelmäßig auf den gleichen Flächen. Es geht also um den Zeitrahmen und um die Wasserstände. Wir stauen so, dass Anfang Mai alles schön feucht ist. Wir haben jetzt nach einer längeren Pause auch wieder Rinder auf der Fläche. Die sorgen dafür, dass etwa durch Hufescharren unterschiedliche auch mal kleinflächige vegetationslose Bereiche entstehen, was wiederum unterschiedliche Insekten anzieht – wie auch der Dung der Tiere. Und so haben die Vögel einen gedeckten Tisch.

In Bedekaspel gibt es den Vorteil, dass die Wasserstände im Masterplan-Gebiet autonom geregelt werden können. Andere Flächen sind nicht betroffen. Das ist in den Leher Wiesen anders. Würde es helfen, wenn man ringsum weitere Flächen ankaufen könnte?

Karl-Heinz Augustin: Das würde sehr helfen. Wir haben die Fläche südlich der B401, die damals beim Bau als Ausgleichsflächen ausgewiesen wurden. Es gibt aber auch nördlich der B401 sehr feuchte Wiesen, die wir gerne einbeziehen würden – also als Ankauf oder als Vereinbarung mit dem Landwirt.

Ohne Landwirte geht es also nicht … leider ist die Landwirtschaft und gerade die Milchwirtschaft, die der Vogelschutz für die Mahd oder, besser noch Beweidung, braucht, immer wieder von Krisen gebeutelt. Wirkt sich das negativ auf das Interesse aus?

Heinrich Pegel: Es gibt nicht viele Landwirte, die wirklich an dem Aufwuchs interessiert sind, der auf Naturschutzflächen zu ernten ist, weil sie eiweißreiches Futter bevorzugen, das auf intensiv bewirtschafteten Flächen wächst. Interessanter sind für die Landwirte die Agrarförderungen, die es pro Fläche gibt, die sie bewirtschaften, und die Funktion als Nachweisfläche für den Betrieb. Das ist ein großer Ansporn. Ich hoffe, dass sich diese Form der Förderung nicht ändert, sonst dürfte das Interesse, unter Naturschutzauflagen zu wirtschaften, deutlich sinken.

Karl-Heinz Augustin: Hoffnung gibt mir der Ansatz einiger jüngerer Landwirte, die künftig Mutterkuhhaltung machen wollen, mit Kühen und Kälbern in größeren Herden. Da muss der Landwirt auch nicht ständig melken. Das sollten wir positiv begleiten. Die brauchen größere Flächen. Da muss man mal sehen, was wir machen können.

Ist es so, dass Flächen für Wiesenvögel tatsächlich verloren sind, wenn ich keinen Landwirt habe, der sie pachtet und pflegt?

Heinrich Pegel: ja, dann ist die Fläche für den Wiesenvogelschutz verloren. Man könnte zwar mähen, aber wo soll man mit dem Mähgut hin, wenn es kein Landwirt haben will? Auf die Deponie fahren?

Karl-Heinz Augustin: Man muss es so deutlich sagen: Naturschutz läuft nur mit der Landwirtschaft. Wer soll es sonst tun? Allein mit Idealisten ist das nicht zu machen.

Heinrich Pegel: Und die Idealisten für den Naturschutz wachsen nicht nach.

Warum ist das so?

Heinrich Pegel: Viele Kinder und Jugendliche wachsen nicht mehr in und mit der Natur auf. Sie stromern nicht in der Landschaft herum und kommen deswegen nicht auf ganz natürliche Weise mit Tieren und Pflanzen in Kontakt. Da ist ein Bruch entstanden. Das lässt sich mit einzelnen Info-Veranstaltungen kaum auffangen. Außerdem gibt es zwischen den Lebenswelten von Menschen aus Stadt und Land kaum Berührungspunkte. Dass man vom Land und der Natur abhängig ist, dass man damit verwoben ist, das Wissen geht zunehmend verloren.

Karl-Heinz Augustin: Für viele Leute ist die Natur einfach da. Braucht man die? Weiß ich auch nicht, sagen sie. Brauche ich die Vögel? Ist doch egal, wo der hinfliegt. Die Bedeutung der Natur als Lebensgrundlage für alle ist nicht so unbedingt im Bewusstsein der Menschen. Wir sägen mächtig an dem Ast, auf dem wir sitzen. Wir dürfen aber nicht nachlassen, mit Aktionen und Infos daran zu arbeiten, dass sich das ändert. Was dazukommt: Wir brauchen mehr Personal in den Naturschutzbehörden, die dafür sorgen, dass das Erreichte in den Naturschutzgebieten nicht wieder verlorengeht. Dass da von manchen Menschen Dinge zurückgedreht werden, also beispielsweise Gräben wieder vertieft werden, um Vernässungen rückgängig zu machen, gehört auch zur Wahrheit.

Es gibt also eine Entfremdung?

Karl-Heinz Augustin: Ja, und die können wir uns nicht leisten. Ohne Natur können wir nicht überleben.

Heinrich Pegel: Die Leute müssen realisieren, dass Land und Landwirtschaft direkt mit unserem Leben zu tun haben. Hafermilch statt Milch klingt ja erstmal gut – aber ohne Milchwirtschaft kein Grünland und keine Wiesenvögel. Diese Zusammenhänge sehen viele Menschen nicht mehr.


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