Die Wisente sind los!
Auswilderungsprojekt für Wisente im Eleonorenwald tritt in die zweite Phase
Vrees. Spinax, Spanyr, Tirila und Tita geht es gut: Kurz vor Weihnachten 2005 tauschten die vier Wisente ihren bisherigen, behüteten Lebensraum im Wisentgehege Springe bei Hannover bzw. dem Berliner Zoo Friedrichsfelde mit der rauen Wirklichkeit des emsländischen Eleonorenwaldes. Seither stromerten sie in dem 13 Hektar großen Eingewöhnungsgatter umher und wurden gelegentlich sogar noch gefüttert. Nun ist auch diese behütete Phase vorbei. Am Montag (29. Mai 2006) wurde das Tor des Auswilderungsgatters geöffnet - den vier Wildrindern steht nun die ganze Vielfalt des 1000 ha großen Waldlebensraumes zur Verfügung.
Genau diese Vielfalt im Eleonorenwald zu erhalten ist eine der Hauptaufgaben der großen Pflanzenfresser, wie Hermann Wreesmann vom NLWKN (Niedersächsischer Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz) erläutert. Deshalb wird das Projekt vom Niedersächsischen Umweltministerium finanziell gefördert: "Wir unterstützen dieses Vorhaben, weil durch große Pflanzenfresser wie Wisente die Landschaft auf natürliche Weise offen gehalten wird. Das Projekt im Eleonorenwald dient dem Biotop- und Artenschutz gleichermaßen", freut sich Umweltminister Hans-Heinrich Sander.
Insbesondere die Tier- und Pflanzenarten der halboffenen Lebensräume wie Magerrasen oder Heiden werden von den Wisenten profitieren. Sie sind in den vergangenen Jahrzehnten durch die weitgehende Trennung von Wald und landwirtschaftlichen Nutzflächen in ihrem Bestand gefährdet. Der Naturschutz bemüht sich daher seit Jahren besonders um den Erhalt und die Entwicklung solcher Landschaften. Im Eleonorenwald werden die Wisente zukünftig dafür sorgen, dass solche halboffenen Landschaften nicht vollständig bewalden und ihren Artenreichtum behalten.
Darüber hinaus soll im Eleonorenwald ein Beitrag zur Erhaltung des nach wie vor gefährdeten Wisentbestandes geleistet werden. Ab 2008 rechnen alle Beteiligten mit dem ersten Wisentnachwuchs. Um die Schäden in der Forstwirtschaft in Grenzen zu halten, soll die Herde nicht größer als 25 Tiere werden.
Damit das Auswilderungsprojekt in geregelten Bahnen verläuft, hat der NLWKN mit der Grundbesitzerin, der Arenberg-Meppen GmbH, eine Vereinbarung getroffen. In dieser ist nicht nur die Betreuung des Projektes durch den örtlichen Revierförster Johannes Dierkes geregelt, sondern auch die Finanzierung: Die Gesellschaft bekommt für ihre freiwilligen Naturschutzleistungen eine faire Entlohnung.
Wie sich die Wisente mit ihrem Lebensraum und den anderen Bewohnern des Eleonorenwaldes arrangieren, möchte Prof. Dr. Heinz Düttmann von der Uni Osnabrück erforschen. Die Tiere tragen daher einen Sender am Halsband, um sie jederzeit innerhalb des großen Waldes orten zu können.
Um auch der Bevölkerung die Möglichkeit zu geben, sich dieses einmalige Naturschutzprojekt anzusehen, werden in Zukunft Planwagenfahrten durch den Eleonorenwald angeboten. Mit etwas Glück kann man dann neben den Schönheiten des Eleonorenwaldes auch seine neuen Bewohner - nämlich den fünfjährigen Wisentstier Spinax und die drei Wisentkühe Spanyr, Tirila und Tita - erleben. Ein selbstständiges Betreten des Wisentgeheges ist aus Sicherheitsgründen zurzeit nicht möglich.
Informationen zu den Planwagenfahrten gibt es bei der Gemeinde Vrees (Tel. 04479-94840) oder bei Revierförster Dierkes von der Arenberg-Meppen GmbH (Tel. 0171-585 7254).
Kurzinfo über Wisente:
Sie gehören zu den größten Landsäugetieren in Europa – die Wisente. Die erwachsenen Tiere bringen zwischen 400 und 900 Kilogramm auf die Waage. Der Wisent ist der letzte Vertreter der Wildrindarten des europäischen Kontinents. Er hat eine Kopfrumpflänge von 330 cm, eine Schulterhöhe von bis zu zwei Metern und ein Gewicht von bis zu einer Tonne. Wie beim amerikanischen Vetter ist das Fell dunkelbraun; Kälber und Jungtiere haben eine mehr rötliche Farbe. Der Kopf ist auffallend kurz, trägt einen ausgeprägten Kinnbart und endet in zwei kurzen Hörnern. Er wird gesenkt getragen und liegt deutlich unter dem Widerrist. Wisente sind Pflanzenfresser und Wiederkäuer, die im Wald leben. Sie ernähren sich bevorzugt von Laub, Schösslingen, Wurzeln, kleinen Ästen und Baumrinde. Wisente leben meist in Herden zu zehn bis zwölf Tieren. Wisentkühe sind mit drei Jahren geschlechtsreif und bekommen ihre Kälber nach neun Monaten. Bei der Geburt wiegen die Kälber etwa 40 kg. Wisentbullen sind erst mit acht Jahren ausgewachsen, bleiben fünf Jahre auf dem Höhepunkt ihrer Kräfte und altern dann recht schnell. Wisente können circa 25 Jahre alt werden.
Bis ins frühe Mittelalter bevölkerten neben dem Wisent viele weitere Pflanzenfresser die mitteleuropäische Landschaft. Wildpferd und Auerochsen wurden bereits im Mittelalter völlig ausgerottet. Wisente und Elche als die größten Pflanzenfresser wurden in Mitteleuropa so stark verfolgt, dass sie sich nur noch in den dünn besiedelten osteuropäischen Ländern in Restbeständen halten konnten. In Mitteleuropa haben sich nur der Rothirsch, der Damhirsch und das Rehe in die heutige Zeit retten können.
1788 wurde der letzte mitteleuropäische Wisent getötet. 1921 stand der Wisent mit weltweit nur noch 54 Tieren am Rande des Aussterbens. Gezielte Züchtungen in Zoos und Wildgehegen ließen den Bestand bis heute auf wieder über 3000 Tiere ansteigen.
Den vier Wildrindern steht im Eleonorenpark nun die ganze Vielfalt des 1000 ha großen Waldlebensraumes zur Verfügung.
Artikel-Informationen
erstellt am:
29.05.2006
zuletzt aktualisiert am:
26.04.2010