Niedersachsens Fließgewässer im Doppel-Stress
Begradigte Flüsse können sich kaum an die Trockenheit anpassen
Hannover/Braunschweig. - Massenweise tote Muscheln am ausgetrockneten Grund der Aller – auch das ist ein Bild dieses regenarmen Sommers und der damit verbundenen Auswirkungen auf die Fließgewässer in Niedersachsen. „Durch Niedrigwasser geht Lebensraum für Pflanzen und Tiere verloren“, erklärt Dr. Astrid Deek, Geschäftsbereichsleiterin in Braunschweig. An vielen Gewässern in Niedersachsen werden derzeit Niedrigwasserstände im Extremwertbereich gemessen. Die geringe Widerstandskraft der Gewässer gegen derartige Extremereignisse sei nicht zuletzt Folge menschlichen Handelns, so der Niedersächsische Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN). „Aufgrund der Begradigung zahlreicher Gewässer in den vergangenen Jahrzehnten gibt es zu wenige naturnahe Gewässer, von denen aus sich die gewässertypischen Arten wieder ausbreiten könnten“, betont Deek.
Sie sorgt sich um die ökologischen Folgen des trockenen Sommers, weiß aber auch, dass es schon lange ein stilles Sterben in den Gewässern gebe, verursacht durch den in der Vergangenheit betriebenen Ausbau und ihre Übernutzung: „Die Gewässer sind insbesondere im vergangenen Jahrhundert mit dem Ziel einer schnellen Wasserabführung begradigt und ausgebaut worden, dass sie kaum noch eine Resilienz gegenüber solchen Extremereignissen haben“, so Deek. Wehre und Abstürze verhindern darüber hinaus die Passage für wandernde Fische sowie für Muscheln, Bachflohkrebse und andere Kleintiere.
„Zugleich wirken sich geringe Abflüsse und hohe Temperaturen auf ausgebaute Gewässer besonders stark aus, wenn Ufergehölze fehlen und durch Aufstau geringe Fließgeschwindigkeiten vorherrschen. Dann erwärmt sich das Wasser besonders stark, was zu kritischen Sauerstoffgehalten im Wasser führen kann. Es fehlen tiefere Rinnen und Stellen, in denen sich das wenige Wasser sammeln könnte, wohin sich die Tiere zurückziehen könnten“, erläutert die NLWKN-Gewässerbiologin Claudia Wolff. „Durch die Begradigung haben sich viele Gewässer tief eingegraben, was bis heute die Landschaft entwässert und damit Dürresituationen zusätzlich verschärft.“
Also eine ausweglose Situation?
Zusätzlich zu einem nachhaltigen Wassermengenmanagement, durch das Wasser in niederschlagsreichen Zeiten in der Landschaft zurückgehalten wird, setzen die Gewässerbiologen des NLWKN vor allem auf eine naturnahe Fließgewässerentwicklung. Durch pendelnde oder gar mäandrierende Gewässerläufe plus naturnaher Strukturen mit Totholz, Kiesbänken und Ufergehölzen entstehen vielfältige Lebensräume, die den Tieren Rückzugsräume bei Hoch- und Niedrigwasser bieten und damit die Anpassungsfähigkeit bei Extremereignissen erhöhen. Zusätzlich tragen diese Maßnahmen zum Wasserrückhalt bei.
Der NLWKN gibt hierzu in verschiedenen Leitfäden und Gewässerbewirtschaftungsplänen zahlreiche praktische Anregungen. „Gepaart mit Maßnahmen der Auen- und Moorentwicklung im Sinne des Aktionsprogramms Niedersächsische Gewässerlandschaften kann so ein ökologisch basierter Beitrag zu einem nachhaltigen und integrierenden Wassermengenmanagement entstehen, der gleichzeitig hilft, die Ziele der großen Gewässerrichtlinien der Europäischen Union zu erreichen“, betont Claudia Wolff.
Der Landesbetrieb bereitet gegenwärtig eine Sonderveröffentlichung zu möglichen Wirkungen des Klimawandels auf die niedersächsischen Fließgewässer und ökologisch orientierte Maßnahmen zur Minderung dieser Klimafolgen vor. Diese wird voraussichtlich Anfang 2023 fertig sein.
Link zum Aktionsprogramm Niedersächsische Gewässerlandschaften auf der NLWKN-Website: https://www.nlwkn.niedersachsen.de/38719.html
Artikel-Informationen
erstellt am:
24.08.2022
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