Wie die Nadel im Heuhaufen….
Auf der Suche nach den Nestern der heimlich lebenden Bekassine
Landkreis Diepholz/Dümmer. Ende Mai kamen Ornithologen aus Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Bayern und aus den Niederlanden ins Vogelschutzgebiet Dümmer, stülpten Regenhosen über Jeans und Gummistiefel und lauschten um fünf Uhr morgens der Einweisung Heinrich Beltings von der Naturschutzstation des Niedersächsischen Landesbetriebs für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN) am Dümmer. Die „Ornis“ waren gekommen, um an einer einzigartigen Aktion teilzunehmen: der Suche nach Bekassinen-Nestern.
Bekassinen sind wie alle Wiesenvögel Bodenbrüter. Ihre Nester legen sie gerne in Bulten, horstartig wachsenden Grasinseln, oder in flachen selbst gedrehten Mulden an. Je nach Wiesenvogelart sind die Nester mehr oder weniger versteckt: Während Kiebitze sehr offen und sichtbar brüten, sind die Nester von Rotschenkel und Bekassine in höheren Pflanzenbeständen verborgen. Bekassinen suchen gezielt dichtere und oft gleichmäßig hoch aufgewachsene Vegetation für ihr Nest aus, um es besonders gut zu verstecken. Wenn die Vegetation es zulässt, verdreht der brütende Vogel die Grashalme über dem Nest so, dass ein blickdichtes „Dach“ entsteht und bahnt sich einen Seiteneingang. In Kombination damit, dass Bekassinen zur Brutzeit ohnehin ein vergleichsweise heimliches Leben führen, ist es praktisch unmöglich, Nester allein durch Beobachtung zu finden.
Gemeinsam mit leider zu vielen anderen Arten muss die Bekassine in der aktuellen Roten Liste der Brutvögel in der Kategorie 1 geführt werden. Wie der Brachvogel oder der Kampfläufer gilt auch die Bekassine als „vom Aussterben bedroht“. Um zu verhindern, dass die Bekassine tatsächlich in Niedersachsen ausstirbt, ist es erforderlich, ihre Brutbiologie besser zu verstehen. „Das ist die Grundlage, um effektive Schutzmaßnahmen entwickeln und umsetzen zu können“, sagt Heinrich Belting, Projektleiter des EU-LIFE-Projekts „GrassBirdHabitats“. Dafür sei es unverzichtbar, einzelne Neststandorte zu kennen und zu analysieren. Und um die gut versteckten Nester zu finden, gibt es nur eine erfolgversprechende Möglichkeit: geeignete Flächen lückenlos absuchen.
Zu diesem Zweck stiefelten jetzt bereits zum dritten Mal Menschenketten auf ausgewählten Teilflächen durch das Vogelschutzgebiet Dümmer. Die jeweils außen laufenden Personen der Kette überwachen mit GPS-Geräten, dass auch die ganze Fläche erfasst wird, während alle anderen ihren Blick ständig gen Boden gerichtet halten, um kein Nest zu verpassen. Brütende Bekassinen fliegen von ihrem Gelege, mit den üblicherweise vier dunkel gefleckten Eiern, erst dann auf, wenn ein Mensch sich auf ein oder zwei Meter angenähert hat. Dann gilt es, am Abflugort vorsichtig nach dem Nest zu suchen. Wenn das nicht sofort gelingt, ist das Gelege schnell mithilfe einer Wärmebilddrohne gefunden und wichtige Brutparameter können erhoben werden.
Die Brutbiologie der Bekassine birgt noch viele Geheimnisse. So führen wohl beide Partner die Jungvögel, aber nur das Weibchen, so steht es jedenfalls in der Literatur, soll brüten. Nun wurde aber eine Bekassine vermessen, die demnach auf ein Männchen schließen ließ – und einen Brutfleck ausgebildet hatte. Den haben aber nur Vögel, die auch tatsächlich auf den Gelegen sitzen und brüten. Eine genetische Analyse wird demnächst Aufschluss über das Geschlecht geben – und der Wissenschaft vielleicht ein kleiner Baustein an neuem Wissen hinzugefügt werden können.
Nun, am Ende des Tages hatten die Vogelkundler viele Kilometer Seggenried, Nassgrünland und Weidefläche abgelaufen und sage und schreibe zwei Gelege gefunden. Ein mühsames Geschäft, das aber immerhin von einer Besonderheit gekrönt war: ein Gelege hatte fünf Eier, was nur sehr selten zu finden ist.
Information zum LIFE IP Projekt „GrassBirdHabitats“ (LIFE19 IPE/DE/000004)
Der Schutz von Wiesenvögeln wie Uferschnepfe, Kiebitz und Brachvogel und deren Lebensräumen stehen im Fokus des von der Europäischen Union im Rahmen des LIFE-Programms geförderten Projekts. Ziel ist es, optimale Brutgebiete zu schaffen und zu verbinden. Hierfür gilt es, die Flächennutzung zu extensivieren und die Wasserstände zu optimieren. Um die Aktivitäten künftig stärker zu vernetzen und Maßnahmen für erfolgreichen Wiesenvogelschutz abzustimmen, wird ein strategisches Schutzkonzept für Wiesenvogellebensräume in Westeuropa entwickelt. In 27 Projektgebieten in Niedersachsen werden wiesenvogelfreundliche Maßnahmen umgesetzt.
Das Gesamtbudget des über zehn Jahre laufenden Projekts beträgt rund 27 Millionen Euro, darin 12 Millionen Anteil des Landes Niedersachsen. Das Niedersächsische Umweltministerium als Projektträger hat die Staatliche Vogelschutzwarte im Niedersächsischen Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN) mit der Umsetzung des Projekts beauftragt. Partner in Niedersachsen sind die Nationalparkverwaltung Niedersächsisches Wattenmeer und das Büro BioConsultOS. Projektpartner in den Niederlanden sind die Provinz Friesland, die Universität Groningen sowie die landwirtschaftliche Kooperative Collectief Súdwestkust (SWK) und der Naturschutzverband BondFrieseVogelWachten (BFVW).
Seit 2018 werden Uferschnepfen am Dümmer mit Satellitensendern ausgestattet, 2020 kamen Gebiete an der Unterelbe hinzu. Mit den Besenderungen wurde im LIFE+ „Wiesenvögel“ gestartet, seit 2021 erfolgt dies im Rahmen des LIFE IP Projektes „GrassBirdHabitats“. Von 2018-2021 wurden insgesamt 72 Uferschnepfen mit Satellitensendern ausgestattet. Die Zugrouten lassen sich über www.globalflywaynetwork.org nachverfolgten.
Artikel-Informationen
erstellt am:
06.06.2023
Ansprechpartner/in:
NLWKN Pressestelle
Nds. Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz
Göttinger Chaussee 76a / Am Sportplatz 23
30453 Hannover / 26506 Norden
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